Entscheidungsstichwort (Thema)

Medizinisches Versorgungszentrum. vorläufiger Rechtsschutz gegen die Entziehung der Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung. Eingriff in die Berufsfreiheit des Vertragsarztes

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer Zulassungsentziehung oder anderer statusbeendend wirkender (auch die Beendigung des Zulassungsstatus deklaratorisch feststellender) Verwaltungsakte stellt als verfahrensrechtliche Annexentscheidung zur Sachentscheidung für sich allein einen eigenständigen Eingriff in die Berufsfreiheit des Vertragsarztes (Art 12 Abs 1 GG) dar; entsprechendes gilt für (als GmbH verfasste) Medizinische Versorgungszentren.

2. Da die sofortige Vollziehung solcher Verwaltungsakte angesichts des hohen Anteils gesetzlich Versicherter einem vorläufigen Berufsverbot gleichkommt, kann der Rechtsschutzanspruch des Vertragsarztes gegen den Verwaltungsakt nur einstweilen zurückgestellt werden, um unaufschiebbare Maßnahmen im Interesse des allgemeinen Wohls rechtzeitig in die Wege zu leiten. Ob diese Voraussetzung gegeben ist, hängt von einer Gesamtwürdigung der Einzelfallumstände unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und insbesondere davon ab, ob die weitere Berufstätigkeit schon vor Rechtskraft der Entscheidung im Hauptsacheverfahren konkrete Gefahren für wichtige Gemeinschaftsgüter befürchten lässt. Wegen der gesteigerten Eingriffsintensität beim Sofortvollzug sind nur solche Gründe ausreichend, die in angemessenem Verhältnis zur Schwere des Eingriffs stehen und ein Zuwarten bis zur Rechtskraft des Hauptsacheverfahrens ausschließen. Die hohe Wahrscheinlichkeit, dass das Hauptsacheverfahren zum Nachteil des Vertragsarztes ausgehen wird, genügt für sich allein nicht (Anschluss an BVerfG vom 8.4.2010 - 1 BvR 2709/09 = NJW 2010, 2268 und vom 8.11.2010 - 1 BvR 722/10).

 

Tenor

Die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 19.8.2010 wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

 

Gründe

I. Die Beschwerdegegnerin begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen einen Bescheid des Beschwerdeführers über die Beendigung bzw. Entziehung ihrer Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung mit einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) bzw. über die Beendigung der Genehmigung zur Beschäftigung der bei ihr angestellten Ärzte.

Mit notarieller Urkunde/Gesellschaftsvertrag vom 20.5.2008 (Notariat T. Urkundenrolle Nr. 7./2.; mit Änderung vom 15.7.2008) gründete der Apotheker H. B. (der gemeinsam mit seiner Ehefrau G. B. u.a. die St.apotheke in T. betreibt) als alleiniger Gesellschafter eine GmbH unter der Firma Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) B. GmbH - die Beschwerdegegnerin - mit Sitz in T. Die Beschwerdegegnerin ist im beim Amtsgericht Ulm geführten Handelsregister eingetragen.

Die Praxisräume des MVZ der Beschwerdegegnerin sollten sich nach dem Gesellschaftsvertrag in der B.straße in T. (im Folgenden nur: B.straße) befinden, und zwar im Gebäude mit der (damaligen) Hausnummer 14 (im Folgenden Nr. 14 alt). Bei diesem Anwesen handelt es sich um eine alte (offenbar um die Wende zum 20. Jahrhunderte errichtete) Villa (Backsteinvilla). Sie steht auf dem vorderen Bereich eines größeren Grundstücks und war baurechtlich zur Nutzung mit Praxisräumen (EG), Büroräumen (1. OG) und Wohnung (DG) genehmigt. Vom 15.10.2001 bis 31.8.2009 war das Gebäude an die Stiftung L. (bzw. St. G.-Hilfe für behinderte Menschen gGmbH) vermietet, die dort eine Außenwohngruppe für Behinderte und ein Büro unterhielt (Mitteilung der Stiftung L. vom 22.7.2010, Verwaltungsakte S. 673). Im rückwärtigen Bereich des Grundstücks steht ein (mittlerweile offenbar - nahezu - fertig gestellter) Neubau. In dem Gebäude ist ein Ärztehaus eingerichtet. Die Baugenehmigung hierfür wurde unter dem 22.1.2009 in Verbindung mit einem bestehenden Ärztehaus im Anwesen B.straße 18/1 erteilt. Dem (neuen) Ärztehaus war ursprünglich die Hausnummer (B.straße) 14/1 zugeordnet. Zum 29.4.2010 ist die Hausnummerierung geändert worden. Die Backsteinvilla trägt seitdem die Hausnummer 16 (zuvor 14), das neue Ärztehaus die Hausnummer 14 (zuvor 14/1 - Mitteilung der Stadtverwaltung T. vom 5.7.201 0, Verwaltungsakte S. 613).

Bei der Beschwerdegegnerin sind bzw. waren folgende Ärzte angestellt: der (1944 geborene) Nervenarzt Dr. R. B. (Cousin des H. B.), der (1947 geborene) Internist Dr. A., der (1941 geborene) Kinderarzt Dr. M. (bis 28.2.2010), seit 1.5.2009 der (1947 geborene) Internist Dr. H., seit 20.10.2010 der (1940 geborene) Allgemeinarzt Dr. S. und seit 1.3.2010 der (1968 geborene) Arzt für Kinder- und Jugendmedizin Dr. B.

Dr. R. B. war seit 1.10.1990 zur vertragsärztlichen Versorgung mit Vertragsarztsitz T., M.straße 18 zugelassen. Zum 1.10.2008 veräußerte er seine Vertragsarztpraxis an die Beschwerdegegnerin und verzichtete unter dem 21.7.2008 auf die Zulassu...

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