Entscheidungsstichwort (Thema)
Elterngeld. Berechnung. mehrmalige Änderung der Steuerklasse im Bemessungszeitraum. Maßgeblichkeit des am längsten gültigen Abzugsmerkmals. Steuerklassenfaktor. Steuerklasse 4 mit Faktor. Steuerklasse 4 ohne Faktor. eigenständige Abzugsmerkmale
Leitsatz (amtlich)
Bei mehrmaligem Wechsel eines Abzugsmerkmals im Bemessungszeitraum ist der Elterngeldberechnung dasjenige Merkmal zugrunde zu legen, das in mehr Monaten gegolten hat als jedes andere Merkmal für sich genommen. Die Änderung von Steuerklasse 4 mit Faktor in Steuerklasse 4 ohne Faktor stellt eine Änderung in den Abzugsmerkmalen für Steuern nach § 2e BEEG dar.
Orientierungssatz
Zum ersten Leitsatz siehe auch BSG vom 28.3.2019 - B 10 EG 8/17 R = BSGE 128, 9 = SozR 4-7837 § 2c Nr 6.
Normenkette
BEEG § 2e Abs. 3 S. 1, § 2 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2 S. 2, § 2b Abs. 1 S. 2, § 2c Abs. 3 Sätze 1-2; EStG § 39 f.; SGB X § 44
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16.01.2020 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung höheren Elterngeldes unter Zugrundelegung der Steuerklasse IV.
Die 1982 geborene Klägerin ist Mutter des 2018 geborenen Kindes B., für das sie am 29.05.2018 Basiselterngeld für die ersten zwölf Lebensmonate beantragte. Die Klägerin hat zwei weitere Kinder, den 2012 geborenen Sohn J. und die 2014 geborene Tochter I. C..
Die Klägerin war vor der Geburt von B. seit 23.04.2015 bei der Firma W. S. sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Nach der Arbeitgeberbescheinigung vom 23.05.2018 erzielte die Klägerin in der Zeit von April 2017 bis März 2018 insgesamt ein Bruttoeinkommen in Höhe von 30.293,30 €. Bis September 2017 galt danach für sie die Steuerklasse V. Von Oktober bis Dezember 2017 galt die Steuerklasse IV mit Faktor 0,940. Von Januar bis März 2018 galt die Steuerklasse IV ohne Faktor. Für die Zeit vom 02.04. bis 09.07.2018 erhielt sie von der AOK S.-B.-H. Mutterschaftsgeld in Höhe von 13 € täglich und einen Arbeitgeberzuschuss zum Mutterschaftsgeld in Höhe von 46,33 € täglich.
Mit Bescheid vom 03.07.2018 bewilligte die Beklagte der Klägerin Elterngeld für die Zeit vom 08.05.2018 bis 07.05.2019. In den ersten beiden Lebensmonaten ergab sich wegen der Anrechnung der Mutterschaftsleistungen kein Auszahlungsbetrag. Für den dritten Lebensmonat gewährte die Beklagte 832,57 €, für den vierten bis siebten Lebensmonat 889,99 € und für den achten bis zwölften Lebensmonat 809,08 € (Wegfall des Geschwisterbonus). Die Beklagte berücksichtigte dabei ein Bruttoeinkommen von 30.293,30 € im Bemessungszeitraum. Nach Abzug des Arbeitnehmerpauschbetrags in Höhe von 999,96 € und der Abzüge für Steuern in Höhe von 666,24 € und Sozialabgaben in Höhe von 530,13 € ergab sich ein monatliches elterngeldrelevantes Einkommen vor der Geburt in Höhe von 1.244,74 €. Bei der Errechnung des pauschalierten Abzugsbetrages für Steuern berücksichtigte die Beklagte die Steuerklasse V.
Mit ihrem am 08.01.2018 erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, sie habe rechtzeitig im Oktober 2017 die Steuerklasse gewechselt. Sie habe sechs Monate vor der Geburt die Steuerklasse IV gehabt. Für einen Laien sei die Steuerklasse IV mit oder ohne Faktor ein und dieselbe Steuerklasse. Ihr sei vom Finanzamt nicht mitgeteilt worden, dass sie den Faktor für das Jahr 2018 neu hätte beantragen müssen. Durch die aktuelle Berechnung des Elterngeldes sei sie schlechter gestellt, als wenn man das tatsächliche Nettoeinkommen der letzten zwölf Monate als Grundlage genommen hätte, und natürlich noch schlechter, als wenn durchgängig die Steuerklasse IV als Grundlage verwendet worden wäre.
Die Beklagte wertete das Schreiben als Überprüfungsantrag nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Mit Bescheid vom 10.01.2019 teilte sie der Klägerin mit, der Anspruch auf Elterngeld sei überprüft worden. Die Höhe des Anspruchs bleibe unverändert.
Den hiergegen am 04.02.2019 erhobenen Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13.02.2019 zurück. Zur Begründung führte sie insbesondere aus, im Fall der Klägerin sei für den in pauschalierter Form vorgenommenen Abzug für Steuern für die Ermittlung des im Bemessungszeitraums erzielten Einkommens die Steuerklasse V maßgeblich, da sie in der überwiegenden Zahl der Monate des Bemessungszeitraums gegolten habe. Eine Änderung des Faktors nach § 39f Einkommenssteuergesetz (EStG) sei - entsprechend der steuerlichen Behandlung - als Steuerklassenwechsel einzuordnen. Maßgeblich sei die tatsächliche steuerliche Behandlung ohne Rücksicht darauf, ob der Klägerin bekannt gewesen sei, dass der Faktor im Jahr 2018 neu beantragt werden musste.
Hiergegen hat die Klägerin am 13.03.2019 zum Sozialgericht Reutlingen (SG) Klage erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, sie habe von dem Recht Gebrauch gemacht, die Besteuerung zu ändern. Das Finanzamt dürfe hier nicht eigenmächtig eingreifen. Die im ...