Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistung. Sozialhilfe nach längerer Aufenthaltsdauer. rechtsmissbräuchliche Beeinflussung der Aufenthaltsdauer
Orientierungssatz
Rechtsmissbrauch iS des § 2 Abs 1 AsylbLG ist nur bei vorwerfbarem Tun oder Unterlassen anzunehmen. Ein bloßes Nichtausreisen kann dem allenfalls dann gleichgestellt werden, wenn einer freiwilligen Ausreise keine nachvollziehbaren und/oder gewichtigen Gründe entgegenstehen.
Gründe
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde, der das Sozialgericht (SG) Freiburg nicht abgeholfen hat (§ 174 SGG), ist zulässig und begründet. Das SG Freiburg hat den Antrag auf Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung zu Unrecht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Abs. 1 a.a.O. vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2 a.a.O.).
Vorliegend kommt, da die Voraussetzungen des § 86b Abs. 1 SGG ersichtlich nicht gegeben sind und es auch nicht um die Sicherung eines bereits bestehenden Rechtszustands geht (Sicherungsanordnung (Abs. 2 Satz 1 a.a.O.)), nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht (vgl. dazu Keller in Meyer-Ladewig, SGG, 8. Auflage, § 86b Rdnrn. 25 ff.; Funke-Kaiser in Bader, VwGO, 3. Auflage, § 123 Rdnrn. 7, 11.). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung (vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Buchholz 421.21 Hochschulzulassungsrecht Nr. 37; Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO § 123 Rdnrn. 64, 73 ff., 80 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, VwGO § 123 Rdnrn. 78 ff.). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung). Dabei sind die diesbezüglichen Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG) NJW 1997, 479, 480 f.; NJW 2003, 1236 f.; Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 = NVwZ 2005, 927 ff.); Funke-Kaiser in Bader, VwGO, 3. Auflage, § 123 Rdnr. 58; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O. Rdnrn. 95, 99 ff.). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ggf. ist eine Folgenabwägung vorzunehmen (vgl. BVerfG NVwZ 1997, a.a.O.; NVwZ 2005, a.a.O.). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung (ständige Rechtsprechung des Senats; vgl. z.B. Beschlüsse vom 15. Juni 2005 - L 7 SO 1594/05 ER-B -, 1. August 2005 - L 7 AS 2875/05 ER-B - und vom 17. August 2005 - L 7 SO 2117/05 ER-B (jeweils m.w.N. aus der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung); Schoch in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, a.a.O. Rdnrn. 165 ff.; Puttler in Sodan/Ziekow, a.a.O. Rdnr. 79; Funke-Kaiser in Bader u.a., a.a.O. Rdnr. 62).
Eine einstweilige Anordnung ist hier erforderlich, um den Lebensunterhalt der Antragsteller sicherzustellen. Die Frage des Ausschlusses der Antragsteller von Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (§ 7 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz SGB II) ist nicht Gegenstand dieses, auf Leistungen der Sozialhilfe bezogenen Antrags. Es spricht bei der im vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage viel dafür, dass den Antragstellern der behauptete Anspruch auf Gewährung von Leistungen der Sozialhilfe nach dem Zwölften Buch des Sozialgesetzbuches (SGB XII) zusteht, da die Voraussetzungen des dieses ausschließenden § 2 Abs. 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in der geltenden Fassung nicht gegeben sein dürften. Nach dieser Vorschrift erhalten diejenigen Leistungsberechtigten weiterhin nur beschränkte Leistungen nach § 3 AsylbLG, die die Dauer ihres Aufenthalts rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst haben. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners und des SG Freiburg dürfte sich das Verhalten der Antragsteller, das darin besteht, nicht freiwillig in den Kosovo auszureisen, nach dem derzeitigen Erkenntnisstand nicht als rechtsmissbräuchlich darstellen.
Nach der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden...