Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsprüfung. Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen. Arbeitsentgelt. Leiharbeitnehmer. Equal Pay. Tarifvertrag. Tarifunfähigkeit der CGZP. Verletzung der Aufzeichnungspflicht. Wesentliche Arbeitsbedingungen. Kenntnis von der Obliegenheit. Schätzungsbefugnis. Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Interessenabwägung
Leitsatz (amtlich)
Bis zur Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14.12.2010 bestand keine Verpflichtung, in den Verträgen nach § 12 AÜG Angaben über das Arbeitsentgelt für einen vergleichbaren Arbeitnehmer des Entleihers aufzunehmen, wenn die Vertragsparteien (Verleiher und Entleiher) aufgrund der mit der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) geschlossenen Tarifverträge davon ausgehen durften, dass dadurch die in § 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG und § 9 Nr. 2 AÜG genannten Ausnahmen vorliegen.
Normenkette
SGG § 86a Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 2, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2; SGB IV § 14 Abs. 1 S. 1, § 22 Abs. 1 S. 1, § 28e Abs. 1 S. 1, § 28f Abs. 1 S.1, Abs. 2, § 28p Abs. 1; AÜG § 3 Abs. 1 Nr. 3, § 9 Nr. 2, § 10 Abs. 4
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart vom 14.09.2012 aufgehoben. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 25.07.2012 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin 06.07.2012 wird angeordnet.
Die Kosten des Antrags- und Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Der Streitwert für das Antrags- und Beschwerdeverfahren wird auf je 21.108,59 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Stuttgart (SG) vom 14.09.2012, mit dem das SG ihren Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin vom 25.07.2012 gegen den Bescheid vom 06.07.2012 abgelehnt hat.
Die Antragstellerin betreibt in der Rechtsform einer GmbH ein Unternehmen im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung und verfügt über eine Erlaubnis nach § 1 des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG). In den Arbeitsverträgen der von ihr beschäftigten Leiharbeitnehmer wurde auf Tarifverträge zwischen dem Arbeitgeberverband Mittelständischer Personaldienstleister (AMP) und der Tarifgemeinschaft Christlicher Gewerkschaften für Zeitarbeit und Personalserviceagenturen (CGZP) verwiesen. Auf Basis der dort vorgesehenen Vergütung wurden im Zeitraum vom 01.01. bis zum 31.12.2009 die Sozialversicherungsbeiträge für die beschäftigten Leiharbeitnehmer gezahlt sowie Meldungen und Beitragsnachweise abgegeben.
In der Zeit vom 25.11.2011 bis zum 04.04.2012 führte die Antragsgegnerin bei der Antragstellerin eine Betriebsprüfung durch, die den Zeitraum vom 01.01. bis 31.12.2009 umfasste. Mit Bescheid vom 06.07.2012 setzte die Antragsgegnerin eine Beitragsnachforderung in Höhe von 42.217,65 € für die Zeit vom 01.01.2009 bis 31.12.2009 fest. Dem Bescheid war eine Anlage beigefügt, in der Erläuterungen zur Berechnung enthalten sind. Die Antragstellerin begründete die Beitragsnachforderung damit, dass der Tarifvertrag zwischen dem AMP und der CGZP nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 14.12.2010 (1 ABR 19/10, BAGE 136, 302) unwirksam sei und die Leiharbeitnehmer deshalb nach § 10 Abs 4 AÜG den Lohn beanspruchen könnten, der der im Betrieb des Entleihers für einen vergleichbaren Arbeitnehmer gezahlt werde (Grundsatz des “Equal Pay„). Im Beitragsrecht der Sozialversicherung gelte nach § 22 Abs 1 Satz 1 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) für laufendes Entgelt das sog Entstehungsprinzip. Die Beitragsansprüche der Sozialversicherungsträger entstünden, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Bemessungsentgelt für die Beitragsansprüche sei deshalb nicht das vom Arbeitgeber tatsächlich gezahlte, sondern das von ihm geschuldete Arbeitsentgelt. Nach § 28 f Abs 2 Satz 3 SGB IV habe der prüfende Rentenversicherungsträger die Höhe der Arbeitsentgelte zu schätzen, wenn diese nicht oder nicht ohne unverhältnismäßig großen Verwaltungsaufwand ermittelt werden können. Zwar sei hier feststellbar, dass Arbeitsentgelte grundsätzlich bestimmten Beschäftigten zuzuordnen sind, jedoch sei vorliegend die personenbezogene Ermittlung der jeweils geschuldeten Arbeitsentgelte - wenn überhaupt - nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich. Denn im Zeitraum vom 01.01. bis 31.12.2009 hätten im Betrieb der Antragsgegnerin insgesamt 809 Beschäftigungsverhältnisse vorgelegen. Die Überlassung der Mitarbeiter sei an ca 47 Entleiher erfolgt. Bei den Entleihern seien teilweise keine vergleichbaren Stammarbeitnehmer beschäftigt worden. Zudem existierten keine geltenden Tarifverträge für die betroffenen Entleiher bzw die jeweiligen Wirtschaftszweige, die für eine Ermittlung der Equal Pay-Ansprüche herangezogen werden könnten. Nach ihren Ermittlungen betrage die durchschnittliche Lohndifferenz zwischen Leiharbeitnehmern und vergleichbaren Stammarbeitnehmern in Entlei...