Entscheidungsstichwort (Thema)

Relevanz einer Gesundheitsstörung bei der Prüfung des Vorliegens einer rentenberechtigenden Leistungseinschränkung

 

Orientierungssatz

Maßgeblich für die Frage, ob eine Gesundheitsstörung zu einer rentenrelevanten Leistungseinschränkung führt, ist nicht die gestellte Diagnose, sondern der ärztlicherseits erhobene Befund und die mit der Erkrankung einhergehenden funktionellen Einschränkungen. Eine Beurteilung der Leistungsfähigkeit ist dem Sachverständigen vorliegend damit nur möglich, wenn aus den medizinischen Unterlagen nicht nur die gestellten Diagnosen, sondern auch die diesen zu Grunde liegenden Befunde und die daraus resultierenden funktionellen Einschränkungen ersichtlich sind.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 07.02.2017; Aktenzeichen B 13 R 389/16 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 22.01.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I. Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung streitig.

Die 1950 geborene Klägerin absolvierte nach eigenen Angaben von April 1964 bis März 1967 eine Ausbildung zur Kauffrau im Groß- und Einzelhandel und im Jahr 1974 zur Bilanzbuchhalterin. Als solche war sie bis Dezember 2006 versicherungspflichtig beschäftigt, zuletzt halbtags bei ihrer Tochter (vgl. Bl. 101 LSG-Akte). Seither ist die Klägerin ohne Beschäftigung und sie war ab 08.10.2009 bei der Agentur für Arbeit W. arbeitslos gemeldet (vgl. Bl. 16 SG-Akte). Seit 01.09.2015 bezieht die Klägerin Regelaltersrente (Bescheid vom 10.09.2015, Bl. 60 ff. LSG-Akte). Hinsichtlich der Einzelheiten der rentenrechtlichen Zeiten wird auf den Bescheid vom 10.09.2015 Bezug genommen.

Im Dezember 2009 beantragte die Klägerin Rente wegen Erwerbsminderung und legte hierzu u.a. eine Arztbrief des Kreiskrankenhauses W. vom April 2003 (Fazialisparese zentral, Ausschluss intracerebrale Raumforderung/Ischämie, vgl. Bl. 112 Verwaltungsakte - VA - ) und einen Befundbericht der Neurologischen Klinik am Universitätsklinikum T. vom Mai 2007 (Schweregefühl des rechten Armes, Verdacht auf somatoforme Störung, kernspintomographisch frische Ischämie ausgeschlossen, vgl. Bl. 114 VA) vor. Die Beklagte holte Gutachten bei dem Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. V. und dem Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. A. ein. Dr. V. diagnostizierte bei der Klägerin auf Grund einer Untersuchung im März 2010 ein chronisch-degeneratives HWS-Syndrom, eine Spondylose und Osteochondrose der HWS, eine HWS-Blockierung, eine LWS-Blockade ohne Defizit, eine Spinalkanalstenose, eine Facettenarthrose, eine degenerative LWS-Skoliose, ein Outlet-Impingement bei subacromialer Sporenbildung rechts sowie ein Outlet-Impingement bei hypertropher AC-Gelenksarthrose rechts und hielt die Klägerin für fähig, leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechsel zwischen Sitzen und Stehen vollschichtig zu verrichten, wobei langdauernde Zwangshaltungen und wechselklimatische Einflüsse zu vermeiden seien. Dr. A. diagnostizierte bei der Klägerin auf Grund einer Untersuchung im März 2010 einen Verdacht auf eine akute schizomanische Störung (differenzialdiagnostisch: organische paranoide Störung) und beurteilte die Leistungsfähigkeit der Klägerin für die Tätigkeit als kaufmännische Angestellte und für leichte körperliche Tätigkeiten mit unter drei Stunden täglich seit dem Untersuchungstag (18.03.2010).

Die Beklagte lehnte den Rentenantrag der Klägerin mit Bescheid vom 30.04.2010 und Widerspruchsbescheid vom 14.12.2011 mit der Begründung ab, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien nicht erfüllt, da die Klägerin zwar seit dem 11.12.2009 (= Datum des Rentenantrags) voll erwerbsgemindert sei, in der Zeit vom 10.11.2004 bis 10.12.2009 aber lediglich 27 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt seien.

Hiergegen hat die Klägerin am 12.01.2012 mit dem Begehren auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung Klage zum Sozialgericht Stuttgart erhoben und einen früheren Versicherungsfall geltend gemacht. Sie hat hierzu diverse medizinische Unterlagen vorgelegt.

Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat geltend gemacht, dass die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen lediglich bei Eintritt eines Versicherungsfalls bis spätestens 31.01.2009 erfüllt seien.

Das Sozialgericht hat Behandlungsunterlagen für die Jahre 2007 bis 2009 bei Dr. F. (Praxisnachfolgerin des Hausarztes Dr. G. , Bl. 74 ff. SG-Akte) beigezogen und die Klage mit Urteil vom 22.01.2015 abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, dass sich eine rentenberechtigende Minderung der Erwerbsfähigkeit bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt gewesen seien (spätestens 31.01.2009) anhand der verfügbaren, von der Klägerin und den behandelnden Ärzten übermittelten Unterlagen nicht feststellen lasse.

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 18.02.2015 zugestellte Urteil hat d...

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