Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Angemessenheit der Unterkunftskosten. gerichtlich überprüfbarer unbestimmter Rechtsbegriff. Produktmethode. Ermittlung des angemessenen Mietzinses
Leitsatz (amtlich)
1. Die Angemessenheit der Unterkunftskosten ist ein gerichtlich in vollem Umfang überprüfbarer unbestimmter Rechtsbegriff, hinsichtlich dessen dem Leistungsträger kein Beurteilungsspielraum zukommt.
2. Die Angemessenheit der Unterkunftskosten bezieht sich grundsätzlich auf den Kaltmietzins einschließlich der um die Kosten der Warmwasserzubereitung bereinigten Nebenkosten und ohne Heizkosten.
3. Die angemessene Höhe der Unterkunftskosten ist als Produkt aus der angemessenen Größe der ein einfaches und bescheidenes Leben ermöglichenden Wohnung und dem noch angemessenen Mietzins je qm zu ermitteln (vgl BVerwG vom 28.4.2005 - 5 C 15/04 = Buchholz 436.0 § 12 BSHG Nr 51).
4. Die von der Wohngeldstelle zur Verfügung gestellten Daten zum Mietzins und zur Größe von Wohnungen mit einem geschätzten Abschlag zur Ermittlung der Kaltmiete ermöglichen keine aussagekräftigen Erkenntnisse, um daraus verlässliche Schlüsse auf das aktuelle Niveau der Zugangsmieten ziehen zu können.
Orientierungssatz
Wenn keine hinreichend sicheren Erkenntnisse über die angemessene Miete vom Gericht ermittelt werden können (Auswertung von Wohnungsmarktanzeigen, Befragung von Maklern und bestimmten Organisationen wie Mieter- und Haus- und Grundbesitzerverein) kann ggf auch auf die Höchstbetragswerte zu § 8 WoGG 2 zurückgegriffen werden, wobei Interpolationen der Werte oder Zuschläge für Neuvermietungen bei angespannter Wohnungsmarktlage zu überlegen sind (entgegen LSG Darmstadt vom 13.12.2005 - L 9 AS 48/05 ER - abgedruckt in Juris).
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 27. Dezember 2005 abgeändert.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab 22. November 2005 vorläufig und bis längstens 30. September 2006 höheres Arbeitslosengeld II unter Berücksichtigung einer monatlichen Kaltmiete von 282 € zu gewähren.
Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für beide Instanzen zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde des Antragstellers, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat, ist zulässig und überwiegend sachlich begründet.
Der Antragsteller hat entgegen dem angegriffenen Beschluss des Sozialgerichts einen im Wege der einstweiligen Anordnung durchsetzbaren Anspruch darauf, dass der Antragsgegner ab 22. November 2005 vorläufig verpflichtet wird, ihm höheres Arbeitslosengeld II (Alg II) unter Berücksichtigung einer Kaltmiete von monatlich 282 € statt der vom Antragsgegner zu Grunde gelegten 216,45 € zu gewähren.
Prozessuale Grundlage des im vorläufigen Rechtsschutz verfolgten Anspruchs ist § 86b Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung als Regelungsanordnung setzt einen jeweils glaubhaft zu machenden (vgl. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ≪ZPO≫) Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch voraus (zum Folgenden vgl. Senatsbeschluss vom 25. November 2005 - L 13 AS 4106/05 ER-B m.w.N.). Die Dringlichkeit einer die Hauptsache vorwegnehmenden Eilentscheidung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG (Anordnungsgrund) kann bei Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) in aller Regel nur bejaht werden, wenn wegen einer Notlage über existenzsichernde Leistungen für die Gegenwart und die nahe Zukunft gestritten wird und dem Antragsteller schwere schlechthin unzumutbare Nachteile entstünden, wenn er auf den Ausgang des Hauptsacheverfahrens verwiesen würde. Einen finanziellen Ausgleich für die Vergangenheit herbeizuführen ist, von einer in die Gegenwart fortfolgenden Notlage abgesehen, nicht Aufgabe des vorläufigen Rechtsschutzes, sondern des Hauptsacheverfahrens. Der Anordnungsanspruch hängt vom voraussichtlichen Erfolg des Hauptsacherechtsbehelfs ab und erfordert eine summarische Prüfung; an ihn sind um so niedrigere Anforderungen zu stellen, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtschutzes verbundenen Belastungen wiegen, insbesondere eine endgültige Verhinderung der Grundrechtsverwirklichung droht (vgl. Bundesverfassungsgericht BVerfG in NJW 2003, 1236 f. und Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05 - abgedruckt in Juris). Maßgebend für die Beurteilung der Anordnungsvoraussetzungen sind regelmäßig die Verhältnisse im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung, hier also der Entscheidung über die Beschwerde.
Der Anordnungsgrund ist hier nur für die Zeit ab Rechtshängigkeit des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens am 22. November 2005 zu bejahen, weil der Antragsteller im Ergebnis für die Unterkunft weiteres Alg II in Höhe von monatlich 65,55 € begehrt, welches der Antragsgegner ihm vorenthalte; ein solcher Betrag des zum Wohnen Notwendigen begründet, zumal der Antragstel...