Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Versicherungspflicht bisher Nichtversicherter. Anspruch auf Gesundheitsfürsorge nach dem StVollzG
Leitsatz (amtlich)
1. Ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall iSd § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ist auch die Gesundheitsfürsorge nach §§ 56 ff Strafvollzugsgesetz. Er endet grds. mit der Entlassung aus der Haft.
2. Das Tatbestandsmerkmal "zuletzt gesetzlich krankenversichert" dient allein dazu, Personen, die bisher keinen Bezug zur GKV aufweisen (insbes. privat Krankenversicherte) vom Versicherungsschutz nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V auszunehmen. Es steht dem Versicherungsschutz von Personen, die unmittelbar vor der Haft gesetzlich krankenversichert waren, nicht entgegen.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30. Dezember 2008 aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, dem Antragsteller einstweilen Krankenbehandlung (§§ 27 - 43b Fünftes Buch Sozialgesetzbuch) zu gewähren. Die einstweilige Anordnung gilt längstens bis zur bestandskräftigen Entscheidung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 24. September 2008, im Fall eines anschließenden Klageverfahrens bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss. Die mit dieser Anordnung getroffene Regelung wird außerdem mit Ablauf des Vortages gegenstandslos, an dem ein anderweitiger Anspruch auf Absicherung im Krankheitsfall begründet wird oder der Antragsteller seinen Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt in einen anderen Staat verlegt (§ 190 Abs. 13 Satz 1 SGB V).
Im Übrigen wird die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten des Antrags- und Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt. Zur Wahrnehmung seiner Rechte wird ihm Rechtsanwältin T., W. a. R., zu den Bedingungen eines Rechtsanwalts, der seine Kanzlei am Wohnsitz des Antragstellers oder am Sitz des Landessozialgerichts hat, beigeordnet.
Gründe
Die unter Beachtung der Vorschrift des § 173 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers ist zulässig und begründet.
Das Sozialgericht (SG) hat den Antrag zu Unrecht abgelehnt. Die Antragsgegnerin wird im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet, dem Antragsteller Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu gewähren.
Gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache, soweit nicht ein Fall des Absatzes 1 der Vorschrift vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind nach Absatz 2 Satz 2 auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint.
Vorliegend kommt, da es dem Antragsteller ersichtlich um die Regelung eines vorläufigen Rechtszustandes geht, nur eine Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG in Betracht. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung verlangt grundsätzlich die - summarische - Prüfung der Erfolgsaussicht in der Hauptsache sowie die Erforderlichkeit einer vorläufigen gerichtlichen Entscheidung. Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO).
Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (vgl. BVerfG [Kammer], Beschluss vom 2. Mai 2005, 1 BvR 569/05, BVerfGK 5, 237, 242). Im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ist ihnen allerdings in den Fällen, in denen es um existentiell bedeutsame Leistungen der Krankenversicherung für den Antragsteller geht, eine lediglich summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage verwehrt. Sie haben unter diesen Voraussetzungen die Sach- und Rechtslage abschließend zu prüfen (vgl. BVerfG [Kammer], Beschluss vom 29. Juli 2003, 2 BvR 311/03, BVerfGK 1, 292, 296; Beschluss vom 22. November 2002, 1 BvR 1586/02, NJW 2003, S. 1236 f.). Ist dem Gericht in einem solchen Fall eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich, so ist anhand einer Folgenabwägung. zu entscheiden (vgl. BVerfG [Kammer], Beschluss vom 2. Mai 2005, a.a.O., m.w.N.); die grundrechtlichen Belange des Antragstellers sind umfassend in die Abwägung einzustellen. Die Gerichte müssen sich schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG [Kammer], Beschluss vom 22. November 2002, a.a.O., S. 1237; Beschluss vom 29. November 2007, 1 BvR 2496/07, NZS 2008, 365).
Hier geht es -...