Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. GdB-Herabsetzung nach Heilungsbewährung. Begriff der Heilungsbewährung. Tumorentfernung. Mitberücksichtigung von psychischen Auswirkungen. sozialgerichtliches Verfahren. Anfechtungsklage. Klageerweiterung um Verpflichtungsbegehren in der Berufungsinstanz. fehlende funktionelle Zuständigkeit des Berufungsgerichts
Orientierungssatz
1. Der Begriff der Heilungsbewährung beschreibt nicht nur, dass nach Ablauf der Bewährungszeit keine erhebliche Rezidivgefahr mehr besteht. Die Heilungsbewährung erfasst daneben auch die vielfältigen Auswirkungen, die mit der Feststellung, Beseitigung und Nachbehandlung des Tumors in allen Lebensbereichen verbunden sind (vglBSG vom 9.8.1995 - 9 RVs 14/94 = SuP 1996, 259 ).
2. Eine wirksame Klageänderung ersetzt nicht die für die Zulässigkeit der geänderten Klage erforderlichen, ggf fehlenden Prozessvoraussetzungen (hier: funktionelle Zuständigkeit des Gerichts für ein erstmals im Berufungsverfahren geltend gemachtes Verpflichtungsbegehren).
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 9. April 2021 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erstfeststellung des Grades der Behinderung (GdB) mit mindestens 80 sowie die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft ab dem 10. Januar 2019.
Sie ist 1965 in der Türkei geboren und besuchte dort die Grundschule. Eine Berufsausbildung absolvierte sie nicht. 1985 kam sie nach Deutschland und arbeitete seit 1998 als Reinigungskraft am Universitätsklinikum U1. Seit dem 1. August 2019 bezieht sie eine Rente wegen voller Erwerbsminderung, die zunächst bis zum 31. Dezember 2021 befristet war und nach den Angaben der Klägerin bis 31. Dezember 2023 weitergewährt wird. Die Klägerin ist verheiratet und Mutter von drei erwachsenen Kindern, von denen eines noch in ihrem Haushalt lebt (vgl. Rehabilitationsentlassungsbericht der F1, Gutachten der K1 und Angaben der Klägerin im Termin zur Erörterung des Sachverhalts am 19. Mai 2022).
Am 10. Januar 2019 beantragte die Klägerin beim Landratsamt A1 (LRA) die Erstfeststellung des GdB und gab als hierbei zu berücksichtigende Gesundheitsstörungen und den daraus resultierenden Funktionsbeeinträchtigungen einen Zustand nach (Z. n.) chronischer Ösophagitis bei Lichen ruber (Knötchenflechte), einen Z. n. Somatisierungsstörung, einen Z. n. SIG-Syndrom (gemein wohl ISG-Syndrom ) und diffuse Gelenkschmerzen an.
Aus dem Bericht des D1 über die Vorstellung der Klägerin am 2. Dezember 2016 ergaben sich die Diagnosen makroskopischer Eindruck einer eosinophilen Ösophagitis , vorbefundlich eines Lichen ruber des Ösophagus, und vorbefundlich einer rheumatoiden Arthritis mit Prednisolon-Therapie . Anamnestisch habe die Klägerin von seit etwa zwei Jahren rezidiviert auftretenden ösophagalen Schmerzen wie Sodbrennen mit nur seltener Übelkeit und gelegentlichen Unterbauchbeschwerden berichtet.
Zur Vorlage kamen im Weiteren die Berichte des G1, über die Behandlungen der Klägerin am 20. März und am 16. Juli 2018. Diese führten als Diagnosen den Verdacht auf (V. a.) eine seronegative rheumatoide Arthritis, DD aktivierte Arthrose, Weichteil-Rheumatismus, seit Sommer 2017 Steroide, seit März 2018 Methotrexat wie den V. a. Lichen ruber planus im Ösophagus, weiter Hepatitis B auf. Das Methotrexat sei am 16. Juli 2017 aufgrund Unverträglichkeit wieder abgesetzt geworden.
Aus dem Kurzbericht der Kliniken K2 W1, D2 in N1 über die ambulante Behandlung der Klägerin am 9. September 2018 ließ sich der V. a. eine ISG-Blockade links entnehmen.
K3 stellte nach der Vorstellung der Klägerin am 10. September 2018 die Diagnosen Spondylolisthesis L5/S1 Grad II, pseudoradikuläres Lumbalsyndrom links und seropositive chronische Polyarthritis. Die Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule (LWS) sei in Anteversion, Seitneigung und Reklination bei negativem Lasegue und positivem Pseudo-Lasegue-Zeichen links antalgisch eingeschränkt gewesen.
Nach den Berichten der Universitätskliniken U1 von September 2018 habe bei den Diagnosen Schatzki-Ring und V. a. Ösophagitis eine Beschwerdefreiheit der Klägerin unter der angeordneten Kostform erreicht werden können.
Die F1 stellte nach der stationären Behandlung der Klägerin vom 6. Dezember 2018 bis zum 3. Januar 2019 die Diagnosen seronegative und anti-CCP negatives undifferenziertes polyarthritisches Symptom, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, Osteoporose, Spondylolisthesis L5/S1 Grad II mit pseudoradikulärer Lumbalgie links, ausgeheilte Hepatitis B und chronische Ösophagitis bei GERD DD lymphozytäre Ösophagitis .
Versorgungsärztlich bewertete H1 eine entzündlich-rheumatische Erkrankung der Gelenke mit einem Einzel-GdB von 20, ein Wirbelgleiten und ein chronisches Schmerzsyndrom mit einem Einzel-GdB von 20 sowie eine Refluxkrankheit der Speiseröhre mit eine...