Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Leistungsausschluss bei längerer stationärer Unterbringung. Justizvollzugsanstalt. Taschengeldanspruch. Berechnung
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den stationären Einrichtungen iS des § 7 Abs 4 SGB 2 in der bis zum 31.7.2006 geltenden Fassung gehört nach der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senates auch eine Justizvollzugs- oder eine Untersuchungshaftanstalt (vgl LSG Stuttgart vom 27.3.2006 - L 8 AS 1171/06 ER-B).
2. Hilfebedürftige, die sich in Untersuchungshaft befinden, haben in den ersten sechs Monaten der Untersuchungshaft Anspruch auf Taschengeld in Höhe von 10 vH der Regelleistung. Rechtsgrundlage für diesen Anspruch gegen den Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende sind § 19 SGB 2 in der bis zum 31.7.2006 geltenden Fassung des Art 1 des Gesetzes vom 24.12.2003 (BGBl I S 2954) und § 20 Abs 2 SGB 2 in der bis zum 30.6.2006 geltenden Fassung des Art 1 des Gesetzes vom 24.12.2003 (BGBl I S 2954).
Orientierungssatz
Bei der Berechnung der Höhe des Taschengeldanspruchs sind die Vorschriften des § 41 SGB 2 anzuwenden.
Tenor
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 5. April 2006 abgeändert. Der Bescheid des Beklagten vom 23. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Juni 2005 wird aufgehoben und der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 23. Mai 2005 bis 31. Mai 2005 11 €, für die Zeit 1. Juni 2005 bis 31. Oktober 2005 monatlich 35,-- € und für die Zeit vom 1. November 2005 bis zum 3. November 2005 4,-- € zu zahlen.
Die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren trägt der Beklagte.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger für die Dauer einer Untersuchungshaft in einer Justizvollzugsanstalt ein Anspruch auf Taschengeld zusteht.
Der 1952 geborene Kläger befand sich vom 04.05.2005 bis einschließlich 31.07.2006 in Untersuchungshaft. Seit dem 01.08.2006 verbüßt er eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 10 Monaten, zu der er durch Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 09.05.2006 (812 VRs 230 Js 15871/05) verurteilt wurde.
Am 23.05.2005 beantragte der Kläger bei der Sozial- und Jugendbehörde der Stadt Karlsruhe Leistungen in Form von Taschengeld für die Dauer der Untersuchungshaft nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Dem Antrag war eine Bescheinigung der Justizvollzugsanstalt Karlsruhe vom 17.05. 2005 beigefügt, in der bestätigt wird, dass der Kläger Untersuchungsgefangener sei und für ihn kein Arbeitsplatz und kein Guthaben vorhanden seien. Der Kläger gab an, über kein Einkommen und Vermögen zu verfügen. Mit Bescheid vom 23.05.2005 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab, da der Grundsatz des Fördern und Fordern des SGB II bei einem Untersuchungshäftling nicht erreicht werden könne.
Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger am 09.06.2005 Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 14.06.2005 zurückgewiesen wurde. Aufgrund der aktuellen Untersuchungshaft sei der Kläger gehindert, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen oder in sonstiger Weise an seiner Eingliederung in das Erwerbsleben aktiv mitzuwirken. Die primäre Zielsetzung der Grundsicherung für Arbeit (Eingliederung in Arbeit) sei beim Kläger faktisch nicht erreichbar. Ein Leistungsanspruch nach dem SGB II sei daher nicht gegeben. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum früheren Recht, die einen Anspruch auf Gewährung eines Taschengeldes für Untersuchungsgefangene angenommen habe, sei auf das SGB II nicht übertragbar.
Am 11.07.2005 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Zur Begründung hat er vorgetragen, er befinde sich seit Anfang Mai 2005 in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Karlsruhe. Er verfüge über keine Einnahmen. In der Anstalt werde er zwar versorgt. Er habe jedoch nicht die Möglichkeit, Nahrungsmittel wie Schokolade, Getränke oder Rauchwaren zu kaufen. Seit Jahrzehnten sei Taschengeld gewährt worden. Es bestehe keine Veranlassung, ihm kein Taschengeld zu gewähren. Mit Urteil vom 05.04.2005 hat das SG den Beklagten verurteilt, dem Kläger für die Dauer seiner Untersuchungshaft ein Taschengeld in Höhe von monatlich 10 v.H. des Regelsatzes der laufenden Leistungen nach dem SGB II zu gewähren. Die Berufung ist im Urteil zugelassen worden. Auf die Entscheidungsgründe des Urteils wird verwiesen.
Gegen dieses Urteil hat der Beklagte am 18.04.2006 Berufung eingelegt. Er hat zur Begründung ausgeführt, klärungsbedürftig sei die Rechtsfrage, ob einem Untersuchungsgefangenen in Anlehnung an die zum Sozialhilferecht ergangene Rechtsprechung Leistungen nach dem SGB II in Gestalt von Taschengeld zu gewähren sei. Das Sozialgericht sei im Rahmen seiner Entscheidung der zum Sozialhilferecht ergangenen Rechtsprechung gefolgt, ohne hierbei die Unterschiede zwischen dem Sozialhilferecht einerseits und der Grundsicherung für Arbeitssuchende andererseits zu beachten. Für Untersuchungsgefangene sei ein Leistungsanspruch nach dem SGB II zu v...