Leitsatz (amtlich)
Wer nach Rückfall in die Alkoholsucht in suizidaler Absicht den direkten Arbeistweg verlässt und die Fahrbahn vor einem entgegenekommenden Lkw betritt, der steht nicht unter Unfallversicherungsschutz. Nur wenn ungeklärt oder unklärbar ist, ob der Unfall darauf beruht, so trägt die Berufsgenoosenschaft die Beweislast für eine suizidale Absicht.
Normenkette
SGB VII § 8 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 2 Nr. 1, § 7 Abs. 1, § 102
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 30. August 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung des Ereignisses vom 6. Dezember 2013 als Wegeunfall streitig.
Der 1956 geborene, verheiratete Kläger war als Service-Techniker in Vollzeit bei der Firma HTE H. GmbH in E., S. W. 60, beschäftigt. Seit 1. November 2014 bezieht er eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung mit einem monatlichen Zahlbetrag von 614,93 €. Sein Wohnort ist in Pf. Str. 30/1, die Entfernung vom Wohnort zum Arbeitsplatz betrug ca. 550 m, wobei ungefähr 80 % des Arbeitswegs entlang der Pf. Str., die eine Durchgangsstraße ist, verlaufen.
Der Kläger war vor dem Unfallereignis ca. 20 Jahre alkoholabhängig, zuletzt hat er nach eigenen Angaben eine Flasche Cognac täglich getrunken. Nachdem er gegenüber seiner Ehefrau Suizidgedanken geäußert und sich am 20. August 2013 mit dem Messer Schnittverletzungen am linken Unterarm zufügt hatte, wurde er bei Depressivität wegen Alkoholentzugssyndrom bei Alkoholabhängigkeit (bislang kein professioneller Entzug, Abmahnung vom Arbeitgeber, seine Ehe stehe auf dem Spiel, wenn er weiter trinke) zunächst vom 25. bis 27. August 2013 stationär in dem St. T.-Klinikum Pf. behandelt (Entlassungsbericht vom 27. August 2013, Bl. 210 V-Akte), von wo aus er zum Alkoholentzug ins Klinikum N. (zfp) verlegt wurde. Der Kläger wurde dort stationär vom 27. August bis 13. September 2016 in der Suchtmedizinischen Abteilung behandelt, die eine Verhaltensstörung durch Alkohol (ICD-10: Abhängigkeitssyndrom F10.2), ein Entzugssyndrom (ICD-10: F10.3) sowie eine depressive Episode, nicht näher bezeichnet (ICD-10: F32.9), diagnostizierte. Der Kläger habe sich im nüchternen Zustand klar und glaubhaft von einer Suizidalität distanziert und sei nach einem qualifiziertem Entzug ohne ersichtliche Eigen- oder Fremdgefährdung wunschgemäß nach Hause entlassen worden. Er habe jedoch weiterhin eine behandlungsbedürftige Stimmungslage aufgewiesen (Entlassungsbericht vom 25. September 2013, Bl. 217 V-Akte). In der Folgezeit führte der Kläger nur anfänglich eine psychologische Behandlung durch.
Nachdem er am Vorabend deutlich mehr als eine Flasche Wein konsumiert hatte, wurde der Kläger am 6. Dezember 2013 gegen 6:40 Uhr als Fußgänger bei Dunkelheit und leichtem Schneefall beim Betreten der Pf. Str. von einem Lkw erfasst, wodurch er eine linksseitige Rippenserienfraktur, eine Lungenquetschung bzw. Rissbildung, ferner ein Schädel-Hirntrauma Grad II bis III erlitt. Die Straßenbeleuchtung war zum Unfallzeitpunkt eingeschaltet und der Lkw-Fahrer hatte die Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerorts beachtet. Die Kollisionsgeschwindigkeit lag bei 35 km/h, der von links kommende Lkw war für den Kläger erkennbar, aus technischer Sicht war eine Reaktionsverzug des Fahrers des Lkw nicht nachweisbar (Gutachten des Ingenieurbüros K. vom 7. Februar 2014). Nach der informatorischen Befragung des Lkw-Fahrers hatte der Kläger bereits den Gehweg erreicht, sich dann umgedreht und unvermittelt plötzlich wieder die Fahrbahn betreten (Bl. 31 V-Akte). Der Kläger wies zur Unfallzeit 0,19 Promille Alkohol im Blut auf, wobei der behandelnde Arzt der Intensivstation des Klinikums Pf. St. davon ausging, dass es sich um Restalkohol bzw. um einen Nachtrunk am Unfalltag und nicht um eine Verfälschung des Alkoholkonzentrationswerts durch Desinfektionsmittel gehandelt habe (Bl. 98 V-Akte = 29 Erm.-Akte). Der Kläger trug zum Unfallzeitpunkt dunkle Arbeitskleidung, die bereits im Mai an ihn zurückgesandt wurde (Bl 189 V-Akte).
Nach der von der Beklagten beigezogenen Unfallskizze (Bl. 83 der Verwaltungsakte) und den Ermittlungen der Polizeidirektion Pf. zum Verkehrsunfall hatte sich der Kläger vom Arbeitsplatz in Richtung auf die Straßenseite seiner Wohnung wegbewegt. Nach der Zeugenaussage des Linienbus-Fahrers D. C. T. habe dieser am Unfalltag während der Frühschicht gegen 6:32 Uhr einen Mann bemerkt, welcher an der Unfallstelle unvermittelt und ohne den Fahrverkehr zu beachten auf die Fahrbahn getreten, und dort einfach stehengeblieben sei. Er habe dem Fußgänger nur mit Mühe hätte ausweichen können. Als er in den Rückspiegel geschaut habe, habe er festgestellt, dass der Mann immer noch auf der Straße gestanden sei. Kurze Zeit später habe er erfahren, dass sich wenige Minuten später an derselben Stelle der Unfall mit dem Lkw ereignet habe. Eine genauere Personenbeschreibung sei ihm nicht möglich, außer das...