Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Vergütung von Krankenhausleistungen. allogene Stammzelltransplantation. Erfordernis der Teilnahme an einer klinischen Studie
Leitsatz (amtlich)
1. Die Teilnahme des Versicherten an einer klinischen Studie ist nur dann Voraussetzung für einen Vergütungsanspruch des Krankenhauses (hier: für eine allogene Stammzelltransplantation), wenn ein negatives Votum des Gemeinsamen Bundesausschusses vorliegt.
2. Die Grenzen der Methodenfreiheit im stationären Bereich sind erst dort erreicht, wo offensichtlich ungeeignete Behandlungsmethoden zur Anwendung kommen.
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 13.11.2009 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass an den Kläger 116.428,57 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 115.883,42 € seit dem 15.12.2004 sowie aus 116.428,57 € seit dem 15.05.2005 zu zahlen sind.
2. Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird zugelassen.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 116.428,57 € festgesetzt.
Tatbestand
Im Streit steht die Vergütung einer stationären Krankenhausleistung.
Die bei der Beklagten versicherte M.-A. A.-S. (im Folgenden: Versicherte), geboren 1988, war an einer schweren aplastischen Anämie erkrankt. Die Krankheit wurde im Oktober 2000 bei der Versicherten diagnostiziert. Die Versicherte erhielt regelmäßige Bluttransfusionen. Ab Dezember 2000 wurde eine Therapie mit Antilymphozytenglobulin (ALG) durchgeführt. Im Verlauf traten mehrfach infektiologische Komplikationen auf. Das Universitätsklinikum T., eine Hochschulklinik in der Rechtsform einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts, stellte daher die Indikation zur allogenen Stammzelltransplantation. Da ein HLA-kompatibler Spender nicht vorhanden war, wurde eine Tante der Versicherten als haploidentische (= Übereinstimmung der HLA-Typen zur Hälfte) Spenderin herangezogen. Zur Durchführung der Stammzelltransplantation befand sich die Versicherte vom 18.06.2004 bis 26.08.2004 bei dem Kläger in stationärer Behandlung. Die Transplantation erfolgte am 02.07.2004 nach vorheriger Konditionierung mit Zytostatika (Fludarabin, Thiotepa und Melphalan) sowie Immunsuppressiva (Muromonab) . Eine weitere Stammzellgabe erfolgte am 23.07.2004. Der Verlauf nach der Transplantation war kompliziert durch eine Transfusionsreaktion, durch Fieber und eine vorübergehende Verschlechterung der Blutbildung. Am 26.08.2004 wurde die Versicherte in die ambulante Betreuung entlassen. Für den stationären Aufenthalt rechnete der Kläger die DRG A04A (Knochenmarktransplantation/Stammzelltransfusion, allogen, HLA-verschieden) ab (Rechnung 61087508 vom 11.10.2004). Als Zahlungsziel waren 30 Tage nach Erhalt der Rechnung angegeben. Am 13.09.2004, 11.10.2004 und 17.01.2005 fanden teilstationäre Folgebehandlungen statt. Für diese Behandlungen stellte der Kläger Beträge in Höhe von 544,44 € (Rechnung 61098334 vom 03.11.2004), 544,44 € (Rechnung 61098340 vom 03.11.2004) und 545,15 € (Rechnung 61329505 vom 04.04.2005) in Rechnung. Insgesamt fordert der Kläger einen Betrag in Höhe von 116.428,57 €.
Bereits im April 2004, als der Kläger mit einem Antrag auf Übernahme der Fahrtkosten für die Versicherte an die Beklagte herantrat, kontaktierte die Beklagte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) H. (Dr. V.), der ihr zunächst telefonisch mitteilte, dass es sich bei einer haploidentischen Transplantation bei Kindern und Jugendlichen um einen medizinischen Sonderfall handele, weshalb die Behandlung außerhalb des Wohnorts der Versicherten (H.) in T. nicht zu beanstanden sei. Es handele sich allerdings nicht um eine Standardtherapie. Deshalb sei es wichtig herauszubekommen, ob die Behandlung im Rahmen einer seriösen klinischen Studie durchgeführt werde. Dann könnten die Kosten übernommen werden. In einer E-Mail vom 03.12.2004 teilte der Geschäftsführer des Klägers der Beklagten auf ihre Anfrage hin mit, der MDK Baden-Württemberg habe sich schon vor Jahren bei einem Besuch selbst ein Bild über die Methodik und ihre Wirksamkeit machen können. Die Studienphase sei längst verlassen. Veröffentlichungen gebe es schon seit vielen Jahren. Die Frage nach der Durchführung einer Studie sei für die Beurteilung des MDK und der ihm übertragenen Prüfkompetenz nicht zielführend.
Im Auftrag des MDK H. fertigte daraufhin Prof. H., Arzt für Innere Medizin, Hämatologie und Onkologie vom MDK N. (Kompetenzzentrum Onkologie), unter dem 24.05.2005 ein Gutachten. Er führte aus, bei der diagnostizierten schweren aplastischen Anämie handele es sich um eine sehr seltene Erkrankung (0,2 Fälle pro 100.000 Einwohner in Europa). Unbehandelt führe die Erkrankung bei Erwachsenen in etwa 70 % der Fälle zum Tode. Bei dieser Erkrankung bestehe immer eine Behandlungsindikation. In der Primärbehandlung sei eine immunsuppressive Therapie mit ALG...