Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung. Hyperlipidämie. jährliche Fortschreibung der vom Deutschen Verein empfohlenen Beträge. Diabetes mellitus Typ IIb
Leitsatz (amtlich)
1. Nach den vom Deutschen Verein für öffentliche und private Fürsorge entwickelten und an typisierten Fallgestaltungen ausgerichteten Empfehlungen für die Gewährung von Krankenkostzulagen in der Sozialhilfe (Kleinere Schriften des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, Heft 48, 2. Aufl. 1997), die von den Gerichten als antizipierte Sachverständigengutachten herangezogen werden können, entsprechen die in der Anlage 1 aufgeführten Beträge dem Preisstand von 1997 und müssen deshalb entsprechend der prozentualen Veränderung der Regelsätze für Alleinstehende jährlich fortgeschrieben werden.
2. Bei einem Diabetes mellitus Typ IIb besteht kein Anspruch auf Gewährung eines Mehrbedarfszuschlags wegen kostenaufwändiger Ernährung.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 9. Februar 2007 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1. Februar 2006 bis 31. Juli 2006 als Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung zusätzlich monatlich 2,72 € (38,51 € statt 35,79 €) zu bewilligen.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen die Beklagte einen Anspruch auf höhere Leistungen sowie einen Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) geltend.
Der 1948 geborene Kläger ist alleinstehend. Er erzielte - im vorliegend streitigen Zeitraum - kein Einkommen und verfügt über kein zumutbar verwertbares Vermögen. Dem Kläger wurden von der Agentur für Arbeit V.-S. (AA) ab 01.04.2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II bewilligt.
Am 05.12.2005 machte der Kläger bei der AA unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung des Dr. B. vom 01.12.2005 die Anerkennung eines Mehrbedarfs für kostenaufwändige Ernährung für lipidsenkende Kost wegen einer Hyperlipidämie sowie Diabeteskost wegen eines Diabetes mellitus Typ IIb geltend.
Mit bestandskräftigem Änderungsbescheid vom 20.12.2005 bewilligte die AA dem Kläger für die Zeit vom 01.12.2005 bis 31.01.2006 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 380,79 € (Regelleistung 345,00 €, Mehrbedarf für kostenaufwändige Ernährung 35,79 €).
Am 27.12.2005 beantragte der Kläger die Fortzahlung von Leistungen nach dem SGB II. Mit Bescheid der AA vom 03.01.2006 wurden dem Kläger Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.02.2006 bis 31.07.2006 in Höhe von monatlich 380,79 € weiterbewilligt.
Am 06.02.2006 erhob der Kläger Widerspruch. Er machte geltend, der Ernährungskostenanteil sei um ca. 30%, mindestens in Höhe von 6,59 € zu niedrig bemessen, wodurch er in seinem Recht auf Menschenwürde und auf körperliche Unversehrtheit verletzt werde. Weiter rügte der Kläger die Verfassungswidrigkeit der Höhe der Regelleistung wegen der fehlenden Anknüpfung an die tatsächlichen Verbraucherpreise.
Mit Widerspruchsbescheid vom 08.02.2006 wurde der Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 03.01.2006 als unbegründet zurückgewiesen.
Hiergegen erhob der Kläger am 06.03.2006 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG). Er machte zur Begründung geltend, nach der im November 2003 erlassenen Sachbezugsverordnung der Bundesregierung, die für das gesamte Sozialrecht Gültigkeit habe, benötige er für Ernährung einschließlich des Mehrbedarfs pro Tag wesentlich mehr Geld. Es seien mindestens 6,59 € + Mehrbedarf erforderlich. Er sei seit Oktober 2005 Diabetiker. Er sei dringend auf cholesterinsenkende Nahrungsmittel angewiesen, die nur im Reformhaus erhältlich seien. Mit einem Betrag von täglich 1,19 € als Mehrbedarfsleistungen seien die Kosten einer gesunden Ernährung für ihn nicht tragbar. Weiter müsse er monatlich ca. 20 € bis 30 € an Rezeptgebühren selbst tragen. Er habe in zweieinhalb Monaten 92,13 € an Rezeptgebühren bezahlen müssen. Er sei weiterhin auf Medikamente angewiesen. Zur Behandlung benötige er Pflegeprodukte bzw. entsprechende Nahrungsmittel für die gesunde Ernährung und Medikamente, die medizinisch erforderlich seien. Die Regelleistung des Arbeitslosengeldes II reiche nicht aus. Sein verfassungsrechtlich geschütztes Existenzminimum sei nicht mehr ausreichend gesichert. Der Betrag von 35,79 € als Mehrbedarf sei jedenfalls heute nicht mehr Bedarfs entsprechend.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Die Höhe der tatsächlich zu zahlenden Beträge sei nicht nachvollziehbar. Die Gewährung einer höheren Leistung komme nicht in Betracht. Eine Erhöhung der Regelleistung oder die Gewährung von Leistungen für Mehrbedarfe beim Lebensunterhalt aufgrund eines höheren Bedarfs von Medikamenten oder wegen der Anschaffung von medizinischen Hil...