Entscheidungsstichwort (Thema)
Asylbewerberleistungen. örtliche Zuständigkeit. Wohnsitzauflage. vorübergehendes Verlassen des Ortes der Wohnsitzauflage
Leitsatz (amtlich)
Eine Wohnsitzauflage zwingt nicht bereits regelhaft zum ununterbrochenen Verbleib in dem durch die Auflage festgelegten Gebiet; der Ausländer kann es vielmehr ohne Erlaubnis vorübergehend verlassen. Ein Wegfall der Leistungspflicht des nach § 10a Abs 1 S 1 AsylbLG örtlich zuständigen Leistungsträgers tritt erst ein, wenn an einem anderen Ort ein gewöhnlicher Aufenthalt begründet wird.
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn vom 19. Januar 2021 wird zurückgewiesen.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Mit Beschluss vom 13. Oktober 2020 (L 7 AY 2313/20 ER-B) hat der Senat die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Heilbronn (SG) vom 21. Juli 2020 zurückgewiesen, mit dem das SG den Antrag auf Bewilligung von Leistungen bei Krankheit, Schwangerschaft und Geburt gemäß § 4 AsylbLG abgelehnt hatte.
Der Antragsteller ist im Besitz einer Duldung, er ist zur Wohnsitznahme in V. verpflichtet (Bl. 27 VA). Mit Bescheid vom 9. Dezember 2020 lehnte der Antragsgegner die Gewährung laufender Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) ab mit der Begründung, der Antragsteller halte sich entgegen seiner Wohnsitznahmepflicht nicht in V., sondern bei seiner Familie außerhalb des Zuständigkeitsbereichs der nach § 10a Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylbLG zuständigen Behörde auf. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2021 zurück. Hiergegen hat der Antragsteller Klage zum SG Heilbronn erhoben.
Mit Beschluss vom 19. Januar 2021 hat das SG den am 13. Januar 2021 gestellten Antrag auf vorläufige Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG abgelehnt. Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der am 28. Januar 2021 beim SG eingelegten Beschwerde.
II.
1. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des SG vom 19. Januar 2021 ist zulässig, insbesondere statthaft (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Der Zulässigkeit des erneuten Antrags steht nicht bereits die Rechtskraft des Beschlusses vom 13. Oktober 2020 entgegen. Zwar sind auch Entscheidungen in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (analog § 141 SGG) der materiellen Rechtskraft fähig (ständige Senatsrechtsprechung; vgl. nur Beschlüsse vom 17. Dezember 2009 - L 7 SO 5021/09 ER - und vom 8. September 2010 - L 7 SO 3038/10 ER-B - ≪beide juris≫; Keller in Meyer-Ladewig u.a., SGG, 13. Auflage 2020, § 86b Rdnrn. 19a, 44a; ders. § 141 Rdnr. 5 ≪jeweils m.w.N.≫; Krodel/Feldbaum, Das sozialgerichtliche Eilverfahren, 4. Auflage 2017, Rdnrn. 40 ff. ≪m.w.N.≫). Die Rechtskraft dient dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit, indem der wiederholte Streit der Beteiligten über dieselbe Streitsache mit der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen verhindert wird (vgl. Bundessozialgericht ≪BSG≫ SozR 4-1500 § 141 Nr. 1 ≪Rdnr. 21≫). Ein derartiges Bedürfnis besteht auch in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, denn dieser Rechtsbehelf hat nicht die bloß vorläufige Regelung eines endgültigen Zustands, sondern die endgültige Regelung eines vorläufigen Zustandes zum Gegenstand (Bundesfinanzhof ≪BFH≫, BFHE 166, 114 ≪juris Rdnr. 21≫). Ist daher ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtskräftig als unbegründet abgelehnt worden, so steht einem erneuten Antrag die Rechtskraft des Ablehnungsbeschlusses entgegen, sofern sich die entscheidungserheblichen tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse nicht verändert haben (BFHE 166, 114 ≪juris Rdnrn. 22 f.≫; Senatsbeschluss vom 8. September 2010 - L 7 SO 3038/10 ER-B - juris Rdnr. 5; Senatsbeschluss vom 16. August 2018 - L 7 SO 2248/18 ER-B - juris Rdnr. 5). Ein neuer Antrag kann danach nur auf neue Tatsachen gestützt werden, die nach der früheren Entscheidung entstanden sind und eine andere Beurteilung des entscheidungserheblichen Sachverhalts rechtfertigen. Vorliegend ist insoweit zu berücksichtigen, dass der Antragsteller nunmehr nicht nur Leistungen nach § 4 AsylbLG, sondern auch weitere Leistungen nach dem AsylbLG geltend macht, so dass insoweit keine vorhergehende in materielle Rechtskraft erwachsene Entscheidung ergangen ist.
2. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist in § 86b SGG geregelt, und zwar für Anfechtungssachen in Abs. 1, für Vornahmesachen in Abs. 2. Gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache ferner, soweit nicht ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG vorliegt, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgege...