Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Zulassung. Heilmittelerbringer. Krankengymnastin. Praxisausstattung. geringfügige Unterschreitung der Mindestraumhöhe von 2,50 m. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

Die Versagung der Kassenzulassung einer Krankengymnastin zur Erbringung physiotherapeutischer Leistungen, in deren Praxisräumen die erforderliche Mindesthöhe von 2,50 m nur geringfügig unterschritten wird (hier: 2,45 m bis 2,48 m), stellt sich vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlich durch Art 12 GG geschützten Berufsfreiheit als unverhältnismäßig dar und verstößt damit gegen das Übermaßverbot.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 10.11.2005; Aktenzeichen B 3 KR 36/05 B)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23. Juli 2003 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 08. November 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. Februar 2003 verurteilt, die Klägerin zur Erbringung physiotherapeutischer Leistungen an ihre Versicherten in den Praxisräumen B. 4 in 76275 E. zuzulassen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Zulassung der Klägerin zur Erbringung physiotherapeutischer Leistungen an die Versicherten der Beklagten streitig.

Die 1952 geborene Klägerin ist ausgebildete Krankengymnastin. Die Erlaubnis zur Führung der entsprechenden Berufsbezeichnung wurde ihr am 08. November 1974 durch das Regierungspräsidium Karlsruhe erteilt. Seit 01. August 1979 ist sie als selbstständige Krankengymnastin in E. tätig. Ihre Praxisräume, die sich zunächst in der S. Str. befanden, verlegte sie ab 01. Oktober 1999 in die S.Str. 27. Aufgrund von Zulassungen vom 03. August 1979 und 11. November 1999 war die Klägerin in ihren jeweiligen Praxisräumen berechtigt, zu Lasten der Beklagten deren Versicherte zu behandeln.

Zum 01. November 2002 verlegte die Klägerin ihre Praxisräume innerhalb E. in ihr Wohnhaus in den B.Weg. Diese Praxisverlegung wurde erforderlich, weil der Mietvertrag über die Praxisräume in der S.Str. zum 31. Oktober 2002 gekündigt worden war.

Mit Schreiben vom 02. Oktober 2002 stellte die Klägerin bei der Beklagten den Antrag, sie auch in diesen neuen Praxisräumen zur Erbringung physiotherapeutischer Leistungen bei ihren Mitgliedern zuzulassen; als Anlage legte sie u.a. eine zeichnerische Darstellung der Praxisräume vor. Die Beklagte veranlasste eine Überprüfung der räumlichen Voraussetzungen der neuen Praxis durch den Deutschen Verbands für Physiotherapie - Zentralverband der Physiotherapeuten/Krankengymnasten (ZVK) e.V., Landesverband Baden-Württemberg e.V. Ausweislich ihres Praxisabnahmeberichts vom 30. Oktober 2002 stellte die Vertreterin des ZVK eine Raumhöhe von 2,45 m bis 2,48 m fest. In ihrer ergänzenden Stellungnahme vom 05. November 2002 wies sie darauf hin, dass im Hinblick auf die Raumhöhe seitens des Berufsverbands keine Einwände oder Bedenken gegen die Erteilung einer Kassenzulassung bestünden, die Zulassung jedoch im Ermessen der Kassen stehe.

Gestützt auf diesen Bericht des ZVK lehnte die Beklagte die beantragte Zulassung mit der Begründung ab, mit der ermittelten Raumhöhe von 2,45 m bis 2,48 m seien die räumlichen Mindestvoraussetzungen hinsichtlich der Raumhöhe nicht erfüllt (Bescheid vom 08. November 2002). Nach den Gemeinsamen Empfehlungen der Spitzenverbände der Krankenkassen gemäß § 124 Abs. 4 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB V) zur einheitlichen Anwendung der Zulassungsbedingungen nach § 124 Abs. 2 SGB V für Leistungserbringer von Heilmitteln, die als Dienstleistung an Versicherte abgegeben werden, in der Fassung vom 15. April 2002 (im Folgenden: Gemeinsame Empfehlungen) müsse die Raumhöhe der Mindestnutzfläche durchgehend mindestens 2,50 m - lichte Höhe - betragen. Alle Räume müssten ausreichend be- und entlüftbar sowie angemessen beheizbar und beleuchtbar sein (Ziffer III.3.2.5 der Gemeinsamen Empfehlungen). Eine entsprechende Regelung enthalte auch der mit den Berufsverbänden geschlossene Rahmenvertrag. Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid des Zentralen Widerspruchsausschusses des Verwaltungsrats der Beklagten vom 12. Februar 2003 zurückgewiesen wurde.

Wegen der ablehnenden Entscheidung der Beklagten hatte die Klägerin zunächst am 14. November 2002 beim Sozialgericht (SG) Karlsruhe den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Begehren beantragt, ihr vorläufig ab 01. November 2002 die Zulassung zur Erbringung physiotherapeutischer Leistungen zu erteilen (S 10 KR 5683/02 ER). Diesen Antrag hatte das SG mit Beschluss vom 17. Dezember 2002 abgelehnt. Die dagegen eingelegte Beschwerde zum Landessozialgericht (LSG) blieb erfolglos (Beschluss vom 05. März 2003 -L 4 KR 236/03 ER-B).

Am 17. März 2003 erhob die Klägerin beim SG Stuttgart Klage. Sie machte geltend, die Gemeinsamen Empfehlungen, auf die die Beklagte sich berufe, seien lediglich interne Verwaltungsrichtlinien und für die gerichtliche Ents...

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