Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Rentenversicherung. Rentenanpassung 2010. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Die Festsetzung des aktuellen Rentenwertes zum 1.7.2010 durch § 1 Abs 1 der Rentenwertbestimmungsverordnung 2010 (juris: RWBestV 2010, "Rentenanpassung 2010") entspricht dem einfachen Recht (SGB 6) und verletzt auch kein Verfassungsrecht (Anschluss an LSG Celle-Bremen vom 18.5.2011 = L 2 KN 8/11).
Orientierungssatz
Vgl BVerfG vom 26.7.2007 - 1 BvR 824/03 ua = SozR 4-2600 § 68 Nr 2.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 13.01.201 1 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger ab dem 01.07.2010 eine um 1,2 % höhere Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahres für schwerbehinderte Menschen zu zahlen (“Rentenanpassung 2010„).
Dem 1949 geborenen Kläger ist seit Jahren ein GdB von 50 zuerkannt. Er hat Kinder und ist bei der Techniker Krankenkasse kranken- und pflegeversichert. Ab dem 01.06.2004 wurde sein letztes Beschäftigungsverhältnis beim Land Baden-Württemberg als Altersteilzeitverhältnis im Blockmodell (Arbeitsphase: 01.06.2004 bis 30.11.2006, Freistellungsphase: 01.12.2006 bis 31.05.2009) geführt und endete am 31.05.2009. Zwischen dem 01.02.2008 und dem 30.09.2008 und ab dem 01.11.2008 war der Kläger geringfügig beschäftigt.
Am 13.01.2009 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Altersrente wegen Vollendung des 60. Lebensjahres für schwerbehinderte Menschen, beginnend ab dem 01.06.2009. Mit Bescheid vom 30.03.2009 gewährte die Beklagte dem Kläger die beantragte Altersrente ab dem 01.06.2009. Sie stellte unter Zugrundelegung von 55,8016 persönlichen Entgeltpunkten, eines Zugangsfaktors von 1,0 und eines aktuellen Rentenwerts von 26,56 € eine monatliche Rente von 1.482,09 € fest und berechnete unter Berücksichtigung der vom Kläger zutragenden Beitragsanteile zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung (121,52 € (Beitragssatz 15,50 %) bzw. 28,90 € (Beitragssatz 1,95 %)) einen Auszahlbetrag iHv monatlich 1.331,67 €. Ab dem 01.07.2009 wurde der Rentenberechnung ein aktueller Rentenwert von 27,20 € zugrunde gelegt.
Mit einer undatierten Mitteilung über die Anpassung der Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung teilte die Beklagte dem Kläger im Jahr 2010 ua mit, der aktuelle Rentenwert betrage für die Zeit ab dem 01.07.2010 unverändert 27,20 €. Sie berechnete einen monatlichen Rentenbetrag iHv 1.517,86 € und unter Absetzung der auf den Kläger entfallenden Beitragsanteile zur gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung iHv monatlich 119,91 € (Beitragssatz 14,9 %) bzw 29,60 € (Beitragssatz 1,95 %) einen Auszahlungsbetrag von 1.368,35 €.
Hiergegen erhob der Kläger am 16.07.2010 Widerspruch. Er machte geltend, die Nichtanpassung der Renten verstoße gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes (GG) und gegen die allgemeinen Menschenrechte, weil ehemalige Beamte im Jahr 2010 eine Erhöhung ihrer Pension um durchschnittlich 1,2% erhalten hätten.
Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 14.10.2010 zurück. Die Bestimmung des aktuellen Rentenwerts bzw des aktuellen Rentenwerts (Ost) berücksichtige die Veränderung der Bruttolöhne und Bruttogehälter je Arbeitnehmer im Jahr 2009 gegenüber dem Jahr 2008 um minus 0,96 % in den alten Bundesländern bzw. um 0,61 % in den neuen Bundesländern, die Veränderung bei den Aufwendungen für die geförderte private Altersvorsorge im Jahr 2009 gegenüber dem Jahr 2008 um 0,5 % und den Nachhaltigkeitsfaktor in Höhe von 0,9949. Auf der Grundlage dieser Faktoren hätten sich zum 01.07.2010 sowohl der bisherige aktuelle Rentenwert von 27,20 € auf 26,63 € als auch der bisherige aktuelle Rentenwert (Ost) von 24,13 € auf 24,00 € verringert. Da eine Minderung der aktuellen Rentenwerte durch die Anwendung der Rentenanpassungsformel ausgeschlossen sei, verbleibe es bei dem bislang geltenden Betrag des aktuellen Rentenwerts. Eine Rentenerhöhung habe somit zum 01.07.2010 nicht vorgenommen werden können.
Am 20.10.2010 hat der Kläger beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben. Unstreitig sei, dass die Beklagte entsprechend den gesetzlichen Vorgaben gehandelt habe, jedoch verstoße die Nichtanpassung der Renten zum 01.07.2010 gegen Art 3 GG und gegen Art 14 GG. Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers finde ihre Schranken, wenn er eine Rentenanpassung unterhalb der Inflationsrate vornehme, obwohl die Lohn- und Gehaltsentwicklung der aktiven Versicherten wenigstens eine Anpassung nach der Inflationsrate zulasse. Eine Verletzung des Gleichheitssatzes liege vor, weil Pensionäre eine Erhöhung ihrer Bezüge um durchschnittlich 1,2 % erhielten. Da das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bis zuletzt an seinen Entscheidungen gegen Arbeitnehmer und Rentner festgehalten habe, müsse davon ausgegangen werden, dass dieses ...