Leitsatz (amtlich)
Anspruch auf eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bei Fehlen der Wegefähigkeit aufgrund eines häufigen imperativen Stuhldrangs im Zusammenhang mit einer Morbus Crohn-Erkrankung.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 2. Dezember 2020 sowie der Bescheid der Beklagten vom 22. August 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Januar 2020 insoweit aufgehoben, als die Beklagte verurteilt wird, dem Kläger ausgehend von einem Versicherungsfall am 25. August 2022 Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. März 2023 bis 28. Februar 2026 zu gewähren.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger ein Drittel der Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1981 geborene Kläger hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt als Automobilverkäufer versicherungspflichtig beschäftigt. Seit dem 18.09.2018 ist der Kläger arbeitsunfähig krank (Bl. 57 VA, ärztlicher Teil) bzw. arbeitslos. Er bezog bis 02.04.2021 Arbeitslosengeld I. Dies ist auch die letzte im Versicherungsverlauf vermerkte Pflichtbeitragszeit (vgl. Bl. 288 LSG-Akte). Beim Kläger wurde ein Grad der Behinderung (GdB) von 90 festgestellt (vgl. Gutachten N1, Bl. 214 LSG-Akte).
Der Kläger beantragte bei der Beklagten am 14.05.2019 eine Rente wegen Erwerbsminderung.
Der Kläger wurde sodann im Auftrag der Beklagte am 24.07.2019 von S1 ambulant untersucht. Dieser stellte in seinem Gutachten vom 25.07.2019 (Bl. 35 VA ärztlicher Teil) folgende Diagnosen:
1. Morbus Crohn, derzeit geringe Aktivität bei der Endoskopie 04/19 im Ileozökalbereich
2. Anpassungsstörung bei schwerwiegender gastroenterologischer Grunderkrankung
3. Exogen allergische asthmoide Bronchitis, derzeit rückgebildet bei Pollen- und Hausstaub- sowie Tierhaarallergie
Der Gutachter stellte fest, dass der Kläger leichte bis mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch über sechs Stunden täglich ausüben könne. Auszuschließen seien Wechselschicht, Nachtschicht und Zeitdruck, Tätigkeiten überwiegend im Freien sowie mit starkem Publikumsverkehr. Die Tätigkeit müsse in überwiegend geschlossenen Räumen mit der Erreichbarkeit sanitärer Einrichtungen liegen. Die letzte Tätigkeit sei nicht mehr leidensgerecht.
Die Beklagte lehnte daraufhin den Rentenantrag des Klägers mit Bescheid vom 22.08.2019 ab (Bl. 4 SG-Akte)
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch und trug vor, dass er seit September 2018 ununterbrochen krankgeschrieben sei. Aufgrund des Morbus Chron sei er auch nicht in der Lage nur drei Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Es bestehe auch für die Zukunft keine gute Prognose.
Die Beklagte wies den Widerspruch unter Bezugnahme auf die Einschätzung des sozialmedizinischen Dienstes mit Widerspruchsbescheid vom 22.01.2020 als unbegründet zurück (Bl. 15 VA). Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente lägen nicht vor. Das Leistungsvermögen des Klägers sei nicht auf unter sechs Stunden herabgesunken.
Hiergegen ist am 05.02.2020 Klage zum Sozialgericht (SG) Freiburg erhoben worden. Zur Begründung ist ausgeführt worden, dass der schwerbehinderte Kläger neben der schweren Morbus-Crohn-Erkrankung auch an einer Anpassungsstörung bei schwerwiegender gastroenterologischer Grunderkrankung sowie an einer allergischen Bronchitis leide. Aufgrund dieser Erkrankungen sei der Kläger nicht in der Lage leichte Tätigkeiten am allgemeinen Arbeitsmarkt für mindestens sechs Stunden auszuüben.
Das SG hat zunächst Beweis erhoben durch die Befragung der behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen.
Der S2 hat in seiner Aussage vom 16.03.2020 (Bl. 33 SG-Akte) erklärt, dass er den Kläger im Jahr 2019 einmal behandelt habe. Eine Verlaufsbeurteilung könne er daher nicht abgeben. Der Kläger könne aber leichte Tätigkeiten in einen Umfang von sechs Stunden ausführen, sofern die Möglichkeit regelmäßiger Toilettengänge gewährleistet sei.
Der W1 (Bl. 39 SG-Akte) hat ebenfalls am 16.03.2020 mitgeteilt, dass der Kläger derzeit keine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausüben könne, da er an Depressionen und Stuhlinkontinenz leide. Eine weitere psychiatrische und gastroenterologische Abklärung sei erforderlich. Er halte daher eine befristete Erwerbsminderungsrente von z.B. zwei Jahren für sinnvoll.
Auf seinen Antrag auf medizinische Rehabilitation vom 24.10.2019 hin bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 12.03.2020 bis zum 02.04.2020 eine Maßnahme der stationären Rehabilitation in der B1-Klinik in K1. Die Ärzte der dortigen Klinik haben in ihrem Rehaentlassbericht vom 02.04.2020 (Bl. 34 ff. der LSG-Akte) folgende Diagnosen gestellt:
1. M. Crohn, ED 2000. Manifestation: Ileum, Peranale Fistelbildung
2. Darmperforation nach Bauchtrauma
3. Depressive Episode
Weiter ist ausgeführt worden, dass der Kläger einerseits durch seine Stuhlgangsbeschwerden mit Teilinkontinenz deutlich belastet sei, des ...