Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Kostenerstattung. selbstbeschaffte Leistung. Mehrfachdiabetes. Aufenthalt und Behandlung in einem Diabetes-Dorf. stationäre Krankenhausbehandlung

 

Leitsatz (amtlich)

Der Aufenthalt und die Behandlung in einem sog Diabetes-Dorf kann eine stationäre Krankenhausbehandlung sein.

 

Orientierungssatz

Zur Abgrenzung zwischen vollstationärer Krankenhausbehandlung und stationärer medizinischer Rehabilitation.

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 01.08.2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 09.06.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.09.2010 aufgehoben und die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin 5.032,06 € zu zahlen.

Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Klage- und im Berufungsverfahren.

 

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen Anspruch auf Erstattung von Kosten für Unterkunft und Verpflegung im Diabetes-Dorf A. im Zeitraum vom 27.04.2010 bis zum 10.11.2010 iHv 5.032,06 € geltend.

Die im Jahr 1992 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Seit Dezember 1999 leidet die Klägerin an einem insulinpflichtigen und schwer einstellbaren Diabetes mellitus (dysregulativer Typ I Diabetes mellitus). Mehrere (auch stationäre) Versuche, ihren Stoffwechsel einzustellen, brachten keinen ausreichenden Erfolg. Sie absolvierte deshalb im Jahr 2010 vier Aufenthalte im Diabetes-Dorf A.. Dort wurde durch einen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Arzt eine Insulinpumpenkorrektureinstellung vorgenommen. Die ärztliche Behandlung wurde als Sachleistung (ambulante Behandlung) der Beklagten erbracht. Die Kosten für die Unterkunft und Verpflegung, die sich für die vier Aufenthalte auf insgesamt 5.032,06 € beliefen, zahlte die Klägerin.

Das Diabetes-Dorf wurde vom Internisten und Diabetologen Dr. T., damals leitender Oberarzt der Diabetesklinik B. M., aufgebaut. Es besteht derzeit aus einem Praxishaus, in dem Dr. T. zusammen mit einer ebenfalls zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Ärztin eine Gemeinschaftspraxis betreibt, drei Mehrfamilienhäusern, einem kombinierten Rat- und Kinderhaus und einem Versandhandelhaus. Träger dieser Einrichtung ist seit 1994 die Firma Diabetes-Dorf-A. GmbH (Handelsregister Amtsgericht Ulm HRB 6.), deren Geschäftsführer Dr. T. ist. In jedem der Mehrfamilienhäuser leben idR für knapp drei Wochen maximal je neun Typ-1-Diabetiker bzw deren Angehörige, die gemeinsam an- und abreisen. Zuständig für die Häuser ist je eine Bezugsperson aus dem Behandlerteam. Unter Alltagsbedingungen lernen sie sich in die Pumpentherapie ein. Unterstützt werden sie von Betreuern. Lernen, üben, Essen bereiten, essen, Diskussionen zur Therapiefindung, Anpassungsübungen, ärztliche und psychologische Gespräche, erforderlichenfalls Behandlungen, und Haushaltsarbeiten wechseln einander ab. Das Diabetes-Dorf kann maximal 59 Typ-1-Diabetiker beherbergen. Es gibt eine 365-Tage-Rund-um-die-Uhr-Notfallbetreuung. Die Gemeinschaftspraxis ist mit allen medizinischen Geräten für eine auf Typ-1-Diabetiker spezialisierte Einrichtung ausgestattet.

Am 19.04.2010 hatte die Klägerin bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für eine ambulant überwachte Insulinpumpentherapie - Korrektureinstellung mit intensiver Schulung im Diabetes-Dorf A. beantragt. Dr. T. teilte in dem Kostenübernahmeantrag mit, dass die Klägerin seit August 2006 mit Insulinpumpen aufgrund der unzureichenden Stoffwechseleinstellbarkeit behandelt werde. Die momentane Therapieeinstellung habe jedoch noch nicht zu einem befriedigenden Ergebnis geführt und reiche auch nicht aus, um die Klägerin langfristig vor Folgeschäden durch die Unterzuckerung zu schützen. Für die differenzierte Einstellung der Insulinpumpe reichten reine Ambulanz-, Telefon- und Briefkontakte nicht aus, da es einer sehr zeitintensiven Schulung und eines Lernens und Vergleichens im Rahmen einer Diabetikergruppe bedürfe. Deshalb sei es nötig, dass sich die Klägerin für knapp drei Wochen ausschließlich ihrer Insulinpumpentherapie widmen könne (Bl 12-14 der Verwaltungsakte). Es werde daher die Übernahme der Kosten für Unterbringung und Verpflegung iH der Fallpauschale von 1.224,03 € für die Insulinpumpentherapie-Ersteinstellung bzw der Korrektureinstellung gebeten. Die Klägerin fügte des Weiteren dem Antrag Befundberichte über die bisherige Behandlung des Diabetes mellitus bei (Bl 15-22 der Verwaltungsakte).

Die Beklagte beauftragte Dr. B. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage. Dieser kam in dem am 12.05.2010 erstellten Gutachten zum Ergebnis, dass die fortgesetzte Insulinpumpentherapie medizinisch begründet sei. In Anbetracht der dargestellten krankheitsimmanenten Entwicklung/Instabilität der Glukosehomöostase bei initial erfolgreichem Insulinpumpeneinsatz könne die gleichzeitige Intensivierung der Patientenschulung im Umgang mit Erkrankung, BZ-Ste...

Dieser Inhalt ist unter anderem im SGB Office Professional enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge