Entscheidungsstichwort (Thema)
Voraussetzungen für die Erstattung der Kosten eines Widerspruchsverfahrens im Zusammenhang mit einem möglichen Begründungsmangel eines angefochtenen Bescheides über die Gewährung einer Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung
Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen für die Erstattung der Kosten eines Widerspruchsverfahrens im Zusammenhang mit einem möglichen Begründungsmangel des angefochtenen Rentenbescheides.
Orientierungssatz
Zum Leitsatz: Anschluss an BSG vom 6.7.2022 - B 5 R 21/21 R = BSGE 134, 237 = SozR 4-1300 § 63 Nr 32.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 10. Mai 2021 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für ein isoliertes Widerspruchsverfahren und mittelbar darüber, ob die Beklagte den der Klägerin erteilten Rentenbescheid ausreichend begründet hat.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 11.05.2020 (Bl. 161a VA) eine Rente wegen voller Erwerbsminderung ab 01.09.2019 befristet bis zum 31.10.2021 mit einem monatlichen Zahlbetrag für die laufende Zahlung in Höhe von 1.327,50 Euro. Dem Rentenbescheid beigefügt waren die Anlagen „Berechnung der Rente“, „Versicherungsverlauf“ und „Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte“ (Entgeltpunkte für Beitragszeiten 34,5803 Punkte + Entgeltpunkte für beitragsfreie Zeiten 13,2484 Punkte + zusätzliche Entgeltpunkte für beitragsgeminderte Zeiten 1,1064 Punkte = 48,9351 Summe aller Entgeltpunkte). Nicht beigefügt waren nach dem Vortrag des Bevollmächtigten und der Beklagten die Anlagen „Entgeltpunkte für Beitragszeiten“ und „Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten“ (vgl. Bl. 15 SG-Akte).
Mit Schreiben vom 15.05.2020 (Bl. 178 VA) erhob der Bevollmächtigte der Klägerin Widerspruch und trug zur Begründung vor, dass sich aus dem Bescheid nicht ergebe, wie die Entgeltpunkte hinsichtlich der Versicherungszeit vom 09.08.1982 bis 20.09.2018 berechnet worden seien. Es werde um Nachholung der Begründung (§ 35 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch [SGB X]) und Vorlage der entsprechenden Anlagen gebeten.
Die Beklagte übersandte daraufhin mit Schreiben vom 27.05.2020 dem Bevollmächtigten weitere Berechnungsanlagen zum angefochtenen Bescheid (Bl. 179 VA); u.a. die Anlagen „Entgeltpunkte für Beitragszeiten“ und „Entgeltpunkte für beitragsfreie und beitragsgeminderte Zeiten“ (vgl. Bl. 15 SG-Akte).
Der Bevollmächtigte bedankte sich mit Schreiben vom 04.06.2020 (Bl. 182 VA), welchem seine Kostenrechnung vom selben Tag in Höhe von 380,80 Euro beigefügt war, für die Übersendung der Anlagen zum Rentenbescheid, aus denen sich die Entgeltpunkte, die wesentlich für die Rentenhöhe seien, ergeben würden. Erst durch die Übersendung der Anlagen sei die Klägerin nun in der Lage, die Rentenhöhe zu prüfen. Durch die Übersendung der Anlagen habe die Beklagte den Bescheid vom 11.05.2020 im Sinne von § 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X begründet. Die im Widerspruchsverfahren nachgeholte Begründungspflicht (§ 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X) löse nach § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB X die Kostenerstattungspflicht aus. Sollte die Beklagte dem Widerspruch nicht abhelfen bzw. die geltend gemachten Kosten nicht erstatten, werde ein Widerspruchsbescheid innerhalb der gesetzlichen Frist des § 88 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erwartet.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.07.2020 (Bl. 192 VA) wies die Beklagte den Widerspruch zurück und lehnte die Erstattung der von der Klägerin geltend gemachten für das Widerspruchsverfahren entstandenen Aufwendungen ab. Zur Begründung führte die Beklagte im Wesentlichen aus, dass sich die Begründungspflicht darauf beschränke, dem Betroffenen eines Verwaltungsakts die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen hätten (§ 35 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Die Begründung brauche sich demnach nicht mit allen in Betracht kommenden Umständen und Einzelüberlegungen auseinander zu setzen. Sie dürfe sich auf die Mitteilung der wesentlichen Gründe der Entscheidung in solcher Weise und in solchem Umfang beschränken, dass der Betroffene seine Rechte sachgemäß wahrnehmen könne (mit Hinweis auf Urteile des Bundessozialgerichts ≪BSG≫ vom 09.12.2004, B 6 KA 44/03 R und B 6 KA 71/03 R). Bestandteil des angefochtenen Rentenbescheids seien die Anlagen „Berechnung der Rente“, „Versicherungsverlauf“ und „Berechnung der persönlichen Entgeltpunkte“. Diese Anlagen würden die im Sinne der Begründungspflicht wesentlichen Gründe für die Entscheidung über die Rentenhöhe, die mit dem Rentenbescheid getroffen worden sei, insbesondere sämtliche der Rentenberechnung zugrunde gelegten rentenrechtliche Zeiten und Werte, enthalten. Kosten für das Widerspruchsverfahren gemäß § 63 SGB X könnten damit nicht übernommen werden, weil der Widerspruch nicht erfolgreich gewesen sei.
Am 27.07.2020 hat die Kläg...