Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. häusliche Krankenpflege. Wohngemeinschaft von Pflegebedürftigen kann geeigneter Ort sein. Anspruch auf Erbringung von Leistungen der Behandlungspflege

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Wohngemeinschaft von Pflegebedürftigen (Wachkomapatienten) kann ein geeigneter Ort iS von § 37 Abs 2 S 1 SGB 5 sein, unabhängig davon, ob es sich dabei um ein Heim nach dem jeweiligen Landesheimgesetz handelt. Entscheidend ist, ob die Pflegebedürftigen einen Anspruch gegen den Eigentümer und Vermieter des Hauses bzw Träger des Heimes auf Erbringung von Leistungen der Behandlungspflege haben.

 

Normenkette

SGB V § 13 Abs. 3 S. 1, § 37 Abs. 2 S. 1, Abs. 6, § 27 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 4, § 92; HKP-RL § 1 Abs. 2 S. 2, Abs. 6

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 28.05.2014 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Klägerin im Berufungsverfahren.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Freistellung von Kosten iHv 2.640,54 €, die sie für häusliche Krankenpflege durch einen ambulanten Pflegedienst hatte.

Die 1961 geborene Klägerin, die bei der Beklagten im Wege der Familienversicherung krankenversichert ist, leidet an einem apallischen Syndrom (sog Wachkoma). Pflegestufe II ist anerkannt. Bis 09.03.2012 war die Klägerin in der vollstationären Pflegeeinrichtung Haus M. in B. untergebracht. Die Klägerin erhält keine Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII).

Seit 09.03.2012 ist die Klägerin im Haus C. in M. untergebracht, das der Beigeladene, ein eingetragener Verein, 2010 erworben und behindertengerecht umgebaut hat. Seit 01.03.2012 bietet das Haus für Patienten mit schweren Schädelhirnverletzungen teilmöblierte Zimmer, einen Aufenthaltsbereich, eine voll ausgestattete Küche, Bäder und WC sowie einen Garten. Angehörige haben die Möglichkeit, im Zimmer des Bewohners zu übernachten. Das Haus C. bietet Platz für fünf Dauerbewohner (Wachkomapatienten) sowie einen Platz für Verhinderungspflege und ein Gästezimmer. In einer Resolution der Gründungsmitglieder der Wohngemeinschaft Haus C., zu denen auch der Betreuer der Klägerin gehört, wird als erklärtes Ziel ein häusliches Umfeld mit familiären Strukturen und gemeinsamen Unternehmungen bezeichnet.

Der Beigeladene hat an die Klägerin mit Mietvertrag vom 09.03.2012 ein teilmöbliertes Zimmer vermietet mit Mitbenutzung der Gemeinschaftsräume (Miete 620 €, Nebenkosten 160 €). Daneben haben sich die Mitglieder der Wohngemeinschaft Haus C. als Anlage 1 zum Mietvertrag vertraglich zu einer (Auftraggeber)Gemeinschaft zusammengeschlossen, um das Miteinander in der Wohngemeinschaft zu gestalten, gemeinsame Interessen gegenüber Dritten zu vertreten und die Gemeinschaft betreffende Geschäfte abzuschließen. Geregelt ist insbesondere unter Ziffer 2f die gemeinschaftliche Beauftragung des/der Pflegedienste(s) zur Durchführung von Pflege- und Betreuungsleistungen sowie hauswirtschaftliche Dienstleistungen iSd SGB XI, SGB V, SGB XII und weiterer Hilfen. Nach Ziffer 3g erfolgen die Entscheidungen der Gemeinschaft nach dem Mehrheitsprinzip; zur Herstellung einer Entscheidung ist eine 2/3-Mehrheit der stimmberechtigten Teilnehmer erforderlich. Jedes Mitglied ist nach Ziffer 3h verpflichtet, die Mehrheitsentscheidungen, die ggf auch gegen seinen Willen erfolgen, zu akzeptieren und sich an der Umsetzung zu beteiligen, beispielsweise einen Pflegevertrag zu kündigen und stattdessen einen neuen Vertrag mit dem von der Mehrheit der Gemeinschaft ausgewählten Pflegedienst abzuschließen.

Am 07.03.2012 schloss die Klägerin mit dem Pflegedienst des D. T. einen Vertrag über die Erbringung ambulanter Pflege und hauswirtschaftlicher Versorgung. Dieser sah ua folgende Regelungen vor:

§ 1 Gegenstand des Vertrags

(1) Ziel des Vertrags ist, dem Leistungsnehmer in der häuslichen Umgebung unter Wahrung seiner Menschenwürde zur Erhaltung und Aktivierung der eigenständigen Lebensführung sowie zur Erhaltung und Wiederherstellung individueller Fähigkeiten Hilfe zu gewähren. …

(2) Der Pflegedienst wird im Rahmen der gesetzlichen Regelungen des SGB V sowie des SGB XI dem Leistungsnehmer im Einzelfall eine fachlich kompetente und bedarfsgerechte Pflege und hauswirtschaftliche Versorgung unter Wahrung seiner Selbstständigkeit und Achtung seiner Persönlichkeit erbringen. …

§ 2 Leistungen des Pflegedienstes

(1) Art, Inhalt und Umfang der Leistungen werden entsprechend dem jeweils gültigen Rahmenvertrag gemäß § 75 SGB XI für die ambulante Pflege und dem Vertrag gemäß §§ 132, 132a SGB V und den Leistungsvereinbarungen (Anlagen 1-2) erbracht. …

(2) Der Pflegedienst bietet neben den Leistungen nach SGB V und SGB XI weitere Leistungen an. Diese werden in Anlage 3 vereinbart. Es gelten die Regelungen dieses Vertrags.

(3) …

(4) Leistungen der Behandlungspflege (SGB V) werden lt ärztlicher Verordnung nach Maßgabe der Genehmigung durch die Krankenkasse erbracht. Vom Arzt verordnete und von der Krankenkasse ...

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