Leitsatz (amtlich)
Zu den Voraussetzungen der Anerkennung einer PTBS als Unfallfolge nach der ICD-10, der ICD-11 und dem DSM-5. 2. Die ICD-11 ist als neuester Stand der Wissenschaft bereits anwendbar.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 24.09.2020 abgeändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 22.09.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.12.2017 verpflichtet, als Folge des Arbeitsunfalls des Klägers vom 18.05.2007 eine posttraumatische Belastungsstörung anzuerkennen und dem Kläger Verletztenrente für den Arbeitsunfall vom 18.05.2007 im gesetzlichen Umfang nach einer MdE von 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte hat zwei Drittel der außergerichtlichen Kosten des Klägers im Klageverfahren und im Berufungsverfahren zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Anerkennung von Unfallfolgen und die Gewährung einer Verletztenrente aufgrund eines Unfalls vom 18.05.2007.
Bereits am 23.07.1999 hatte der 1967 geborene Kläger während seiner Tätigkeit als Maurer einen Arbeitsunfall erlitten, bei dem er als Beifahrer mit einem Arbeitsunimog verunglückte und sich Wirbelsäulenverletzungen zuzog. Für diesen Unfall war die BG Bauwirtschaft zuständig. Nach einer Umschulung 2003 war der Kläger als Lagerist tätig und bei der Beklagten unfallversichert.
Am 18.05.2007 sollte der Kläger als Staplerfahrer mit einem 8-Tonnen-Stapler ein Stromaggregat von vier Metern Länge von einem LKW abladen. Das Aggregat kam ins Rutschen und traf den dem Kläger unbekannten Fahrer des LKW, der sich vom Kläger unbemerkt zwischen Aggregat und LKW begeben hatte. Der Kläger ging nach vorne und sah den Verletzten aus dem Mund bluten. Der Kläger wurde von Kollegen anschließend weggeführt und zum Arzt gebracht. Der LKW-Fahrer verstarb kurz darauf. Der H-Arzt K1, der den Kläger unmittelbar nach dem Unfall untersuchte, sah beim Kläger einen akuten Erregungszustand mit Zittern am ganzen Körper und diagnostizierte eine akute Belastungsreaktion bei tödlichem Arbeitsunfall. Der Kläger war zunächst arbeitsunfähig und wurde danach auf einem anderen Arbeitsplatz eingesetzt. Nach dem Unfall war der Kläger bei D1 und E1 in Behandlung und es erfolgten fünf probatorische psychotherapeutische Sitzungen bei K2. Am 12.07.2007 berichteten D1 und E1, sie hätten den Kläger erstmalig am 19.05.2007 behandelt. Er habe ein psychopathologisches Bild einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) präsentiert, es seien somatoforme Symptome wie Schwindel und Kopfschmerzen aufgetreten. Am 04.06.2007 habe er über Schlafstörungen und Angstträume berichtet. Eine Behandlung sei mit ursprünglich 20, jetzt 30 mg Fluoxetin erfolgt. In einem Befundbericht vom 05.10.2007 stellte K2 die Diagnose einer PTBS sowie einer mittelgradigen depressiven Episode. Der Kläger habe von Schlafstörungen, Intrusionen, depressiver Reaktion mit Affekteinengung, Vermeidungsreaktion, Unruhe, Angstzuständen und Konzentrationsstörungen berichtet. Er habe seit dem Unfall Probleme an der Arbeitsstelle mit seinem Chef und sei häufig arbeitsunfähig krank. Es sei eine Traumatherapie mit 20 Sitzungen geplant.
In einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 20.11.2007 führte S1 aus, die Diagnose einer PTBS sei nicht nachvollziehbar. Es fehle in den vorliegenden Berichten an einem entsprechenden psychischen Befund. An gesicherten Unfallfolgen bestehe eine folgenlos ausgeheilte akute Belastungsreaktion. Eine Psychotherapie sei aufgrund der Unfallfolgen nicht erforderlich. Daraufhin lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für eine weitere Psychotherapie ab. Weitere Bescheide, etwa über die Anerkennung von Unfallfolgen oder eine MdE-Rente, wurden von der Beklagten in der Folgezeit nicht erlassen.
Ab Herbst 2007 befand sich der Kläger ein Jahr in Elternzeit. Danach arbeitete er wieder in seiner alten Firma, jedoch an einem anderen Arbeitsplatz als vor dem Unfall, bis ihm im Jahr 2020 gekündigt wurde.
Im Rahmen eines am 17.08.2007 gestellten Verschlimmerungsantrages bezüglich der Folgen des Unfalls vom 23.07.1999 wurde der Kläger im Auftrag der BG Bau von S2 (Gutachten v. 27.05.2008) und von J1 (Gutachten v. 07.06.2008) begutachtet. J1 diagnostizierte neben myostatischen Belastungsschmerzen nach BWK 10-Fraktur, die auf den Unfall vom 23.07.1999 zurückzuführen seien, eine PTBS, für die der Unfall vom 18.05.2007 ursächlich sei. Im psychiatrischen Befund wurden Flash-backs mit traumhaften Erinnerungsbildern und einem zwanghaften Auftreten der Unfallbilder und des Gesichts des toten Arbeitskollegen beschrieben, wogegen sich der Kläger nicht wehren könne und dabei Angst und Panik empfinde.
Vom 15.06.2010 bis 20.07.2010 absolvierte der Kläger eine von der Deutschen Rentenversicherung (DRV) getragene psychosomatische Rehabilitation in der Klinik K3. Im Entlassbericht wurden als Diagnosen u.a. eine PTBS und eine mittelgrade depressive Episode genannt. Die Erwerbsfähigkeit sei bei einem Verbleib an der bisherigen Arbeitsstelle mittelfristig gefährdet. D...