Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. gerichtlicher Beurteilungszeitpunkt bei Klage -eheähnliche Gemeinschaft. Vermutungsregelung des § 36 SGB 12
Leitsatz (amtlich)
1. Hat der Sozialhilfeträger Hilfeleistungen (hier: Hilfe zur Gesundheit) für einen in die Zukunft hinein reichenden, über den Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung hinausgehenden Zeitraum geregelt, so ist die gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme auch im Anwendungsbereich des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch (SGB 12) nicht auf die Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung beschränkt, sondern reicht bis zum Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung (vgl BVerwG vom 31.8.1995 - 5 C 9/94 = BVerwGE 99, 149).
2. Im Verhältnis der Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft findet die (Vermutungs-)Regelung des § 36 SGB 12 neben § 20 SGB 12 keine Anwendung. Auf das Bestehen einer solchen Gemeinschaft kann nur durch eine Gesamtwürdigung aller bekannten Indiztatsachen geschlossen werden.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 28. November 2005 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten im Streit ist die Gewährung von Krankenhilfe bzw. Hilfe zur Gesundheit.
Der am ... 1957 geborene Kläger beantragte am 26. Februar 2004 (unter Anderem) die Gewährung von Krankenhilfe nach § 37 Bundessozialhilfegesetz ≪BSHG≫ und von Leistungen zur Hilfe zum Lebensunterhalt. Im Antragsformular ist in Rubrik 11 (in Haushaltsgemeinschaft lebende Angehörige/Personen) eingetragen, der Antragsteller lebe in Haushaltsgemeinschaft mit der Lebensgefährtin, der am 8. Juni 1945 geborenen Frau P., zusammen. Unter Rubrik 14 (Wohnverhältnisse des Antragstellers) ist handschriftlich ergänzt, dieser lebe im eigenen Haus der Lebensgefährtin; Mietkosten entstünden nicht. Der Antragsteller sei auch nicht krankenversichert. Er habe Schulden in Höhe von 40.000,- Euro, Frau P. in Höhe von 10.000,- Euro. Der Antrag trägt die handschriftliche Unterschrift des Klägers sowie unter “Unterschrift des Ehegatten" die von Frau P.
Mit Bescheid vom 31. März 2004 lehnte das Landratsamt Rhein-Neckar-Kreis den Antrag ab mit der Begründung, Frau P. besitze lastenfreies Grundvermögen in Form eines Zweifamilienhauses mit einem Verkehrswert von ca. 281.000,- Euro. Darüber hinaus bestehe ein monatliches Einkommen von 568,45 Euro zuzüglich Mieteinnahmen in Höhe von ca. 240,- Euro. Damit sei eine Hilfebedürftigkeit beider Personen nicht gegeben.
Hiergegen legte die Betreuerin des Klägers am 30. April 2004 Widerspruch ein, mit dem sie sich insbesondere gegen die Ablehnung der Hilfe in besonderen Lebenslagen und der Krankenhilfe wandte. Zur Begründung wurde vorgebracht, Frau P. sei nicht in der Lage und auch nicht willens, dem Kläger wirtschaftlich beizustehen; diese werde ihr Haus nie verkaufen, um für die Gesundheitskosten des Klägers aufzukommen. Sie lasse ihn nur mietfrei wohnen, was sie nichts koste. Allerdings müsse sich der Kläger, dessen Rente mit ca. 387,- Euro doppelt so hoch sei wie die Arbeitslosenunterstützung von Frau P., an den Nebenkosten beteiligen. Er zahle zum Beispiel die Hausratversicherung, seit Kurzem auch die Abschläge für Strom - da Frau P. hierzu seit einem Jahr nicht mehr in der Lage gewesen sei - und beteilige sich am Kauf von Heizöl, sofern er Geld habe. Der Kläger erspare also lediglich die Aufwendungen für Miete, erbringe aber im Rahmen seiner Möglichkeiten eine wirtschaftliche Gegenleistung für die Beherbergung durch Frau P.. Eine eheähnliche Lebensgemeinschaft in dem Sinne, dass Frau P. für den Kläger einstehe, bestehe nicht. Frau P. wäre damit in jeder Hinsicht überfordert. Der Kläger schlafe noch immer auf der Couch im Wohnzimmer. Er beziehe lediglich eine Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von 387,07 Euro. Im Übrigen müsste Frau P., wenn sie das Haus verkaufe, ihre Geschwister ausbezahlen. Sie habe erklärt, dies auf keinen Fall tun zu wollen. In einem beigefügten Gesprächsvermerk vom 29. April 2004 gab Frau P. an, der Kläger müsse sich an den Kosten beteiligen, da er bei ihr wohne und sie so wenig Geld habe. Der Kläger wohne bei ihr, seit ihre Tochter, mit welcher der Kläger ein gemeinsames Kind habe, vor ca. drei Jahren ausgezogen sei. Er schlafe schon die ganze Zeit auf der Couch im Wohnzimmer. Sie sei nicht bereit, ihr Haus zu verkaufen, um für die Arztkosten des Klägers aufzukommen. Es wäre schade, wenn der Kläger ausziehen müsse, da sie gut miteinander auskämen und sie dann ganz alleine wäre.
Am 26. Juni 2004 führten Mitarbeiter des Landratsamts Rhein-Neckar-Kreis einen unangemeldeten Hausbesuch beim Kläger und Frau P. durch. Im hierüber gefertigten Bericht wird unter Anderem ausgeführt, die Wohnung werde vom Kläger und Frau P. bewohnt, die Wohnung im Obergeschoss sei an eine andere Person vermietet. Im Schlafzimmer der Wohnung befinde sich ein Doppelbett. Der Kläger habe angegebe...