Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Elterngeld. Wohnsitz oder gewöhnlicher Aufenthalt in Deutschland. Familienleben am Arbeitsort eines Elternteils im Ausland. Mietwohnung im Inland. Doppelwohnsitz. Sozialversicherungsabkommen mit China. Arbeitnehmerentsendung. Gleichheitssatz
Leitsatz (amtlich)
Halten sich die Eltern mit ihrem Kind im Ausland auf, weil der Vater für die Dauer von drei Jahren bei einem im Ausland ansässigen Unternehmen beschäftigt ist, besteht auch dann kein inländischer (Doppel-)Wohnsitz, wenn im Inland eine Mietwohnung unterhalten wird, die von der Familie besuchsweise genutzt wird.
Orientierungssatz
1. Das zwischenstaatliche Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China über Sozialversicherung (juris: SVAbk CHN) ist nicht auf den Bereich des Elterngelds nach dem BEEG übertragbar (vgl LSG Stuttgart vom 17.7.2012 - L 11 EG 2929/10 zum Abkommen mit den USA).
2. Für den Anspruch auf Elterngeld nach § 1 Abs 2 S 1 Nr 1 BEEG iVm § 4 SGB 4 genügt es nicht, wenn nur ein Rumpfarbeitsverhältnis im Inland fortbesteht (vgl BSG vom 24.6.2010 - B 10 EG 12/09 R = SozR 4-7833 § 1 Nr 11 zum BErzGG).
3. Der Gesetzgeber ist nicht nach Art 3 GG verpflichtet, sämtliche Fälle mit Bezug zum deutschen Sozialversicherungsrecht in den Anwendungsbereich des BEEG mit einzubeziehen.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 25.06.2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Im Streit steht die Gewährung von Elterngeld für das Kind M. O. B. (im Folgenden: M).
Die im Jahr 1974 geborene, verheiratete Klägerin ist Mutter des am 27.08.2010 in Peking geborenen Kindes M. Sie ist ordnungsrechtlich in Deutschland gemeldet und ist dort im Besitz einer Mietwohnung, lebt jedoch seit Juni 2010 mit ihrem Ehemann (im Folgenden: E) in einem gemeinsamen Haushalt in Peking und betreut und erzieht M seit seiner Geburt. Zuvor war die Klägerin abhängig beschäftigt und bezog vom 01.07.2009 bis 30.06.2010 Einkünfte in Höhe von insgesamt 73.525,46 € (abzgl Steuern und Sozialabgaben in Höhe von 21.869,36 € bzw 7.126,20 €). Im Anschluss bezog sie Mutterschaftsgeld.
E arbeitet seit April 2010 bei der L Ltd (im Folgenden: L) in Peking. Die L ist eine 100 %-Tochter der D. AG. Sie hat eine eigene Bilanz- und Erfolgsrechnung zu führen und trägt die Kosten des Auslandseinsatzes von E, die sie mit ihrer Gewinn- und Verlustrechnung verbucht. Seit 2001 besteht zwischen E und der D. AG bzw deren Rechtsvorgängerin ein Arbeitsvertragsverhältnis. Im März 2010 vereinbarten die Vertragsparteien [“Vereinbarung für den internationalen Einsatz (Versetzung LongTerm)„], dass E bis 31.03.2013 bei der L in Peking tätig ist. Dienstvorgesetzter ist danach der “Chief Financial Officer„ der L. Die geschuldete Arbeitsleistung ist gegenüber der L zu erbringen. Die Bedingungen der Vereinbarung entsprechen einer Vereinbarung zwischen der D. AG und der L. Die Bestimmungen des geltenden Arbeitsvertrages gelten fort, soweit “diese Zusatzvereinbarung„ nichts anderes bestimmt. Die Rahmenbedingungen für internationale Einsätze (“Going Global Policy„) sind Bestandteil des Vertrages. Basis für die Vergütung ist die jeweils gültige “Vergütungsrichtlinie„. Die Vereinbarung enthält außerdem Regelungen zur Arbeitszeit, zum Urlaubsanspruch und zur Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit. Weiter ist vereinbart, dass E für die Dauer des Einsatzes im System der sozialen Sicherung seines Heimatlandes verbleibt, soweit es die gesetzlichen Vorschriften zulassen. Die D. AG behält sich das Recht vor, E jederzeit vorübergehend in das Heimatland zurückzurufen, wenn deren geschäftliche Interessen es erfordern. E kann auf seinen Wunsch den Einsatz vorzeitig beenden, wenn die Heimatgesellschaft zustimmt. Im Falle eines wichtigen Grundes kann E die vorzeitige Beendigung beanspruchen. Mit der L schloss E ein “Emplyoment Agreement„, in dem die Stellenbezeichnung und die Dauer des Einsatzes vereinbart werden.
Am 15.10.2010 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Elterngeld für die ersten zwölf Lebensmonate von M. Im Antragsformular gab sie unter anderem an, ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Peking eingenommen zu haben. Die Beklagte befragte daraufhin schriftlich eine Mitarbeiterin der D. AG, die mitteilte, E sei für die Dauer seines Einsatzes in die Organisation der L eingegliedert, weshalb eine Entsendung im Sinne des § 4 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV) nicht vorliege. Das deutsche Beschäftigungsverhältnis mit der D. AG werde für die Dauer des Einsatzes ruhend gestellt und lebe nach der Rückkehr wieder auf. Die Gehaltszahlungen würden über die D. AG angestoßen. Kostenträger sei die L. E sei für die Dauer des Einsatzes privat krankenversichert. Mit Bescheid vom 05.11.2010 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag ab und gab zur Begründung an, die Klägerin habe keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland. Außer...