Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss eines Versorgungsanspruchs des an multipler Sklerose erkrankten Versicherten mit der sog. Myelin-Therapie
Orientierungssatz
1. Der Versicherte hat nach §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 27 Abs. 1 SGB 5 keinen Anspruch auf Versorgung mit einem Arzneimittel, das nach den Vorschriften des Arzneimittelrechts der Zulassung bedarf, aber nicht zugelassen ist.
2. Die sog. Myelin-Therapie zur Behandlung der multiplen Sklerose unterfällt nicht dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Da zu deren Behandlung andere Therapiemöglichkeiten vorhanden sind, besteht kein Versorgungsanspruch des Versicherten nach den Grundsätzen des off-label-use.
3. Die multiple Sklerose stellt keine seltene Erkrankung dar; sie verläuft regelmäßig nicht tödlich. Ein Leistungsanspruch des Versicherten besteht weder aus Gründen des Systemversagens noch nach § 2 Abs. 1a SGB 5.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 22.01.2018 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Genehmigung der Behandlung ihrer Multiplen Sklerose-(MS) Erkrankung in der Sch. sowie die Erstattung hierfür verauslagter Kosten.
Die im Jahr 1972 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Klägerin leidet an MS (Erstdiagnose 2013). Im Januar 2015 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und bat - sinngemäß - um die Ausstellung eines Formulars E 112 zur Behandlung in einem anderen Mitgliedsstaat. Unter dem 25.01.2015 führte sie hierzu aus, es gebe in der Nähe ihres Wohnorts keinen Arzt, der zur Behandlung ihrer Erkrankung eine komplementärmedizinische Therapie (spezielle Infusionstherapie) durchführe. Per E-Mail vom 26.01.2015 führte sie aus, es handele sich um eine myelinschichtreparierende Infusionstherapie, die sie anlässlich eines Aufenthalts in der Sch. kennengelernt habe. Durch deren Anwendung hätte im letzten Sommer, d.h. im Jahr 2014, bei einem Krankheitsschub ein Krankenhausaufenthalt vermieden werden können.
Mit Schreiben vom 30.01.2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass aus den bisher eingereichten Unterlagen nicht eindeutig ersichtlich sei, welche ärztliche Leistung die Klägerin in der Sch. begehre. Es werde daher darum gebeten, konkrete ärztliche Unterlagen vorzulegen, die sodann dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung vorgelegt werden könnten.
Nachdem die Klägerin auch im Rahmen des weiteren E-Mail Kontakts keine medizinischen Unterlagen beigebracht hatte, bat die Klägerin - anwaltlich vertreten - unter dem 15.07.2015 erneut um die Überlassung eines Formulars E 112. Die Beklagte entgegnete hierauf mit Schreiben vom 21.07.2015, dass ein Formular E 112 nach der Verordnung (EG) 883/04 nur dann auszustellen sei, wenn die beantragte Leistung auch in Deutschland - als eine vom Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) anerkannte Behandlungsmethode - zur Verfügung stehe, diese jedoch nicht in einem medizinisch vertretbaren Zeitraum gewährt werden könne. Bei der geplanten Myelin-Therapie in der Sch. handele es sich jedoch nicht um eine anerkannte Behandlungsmethode, die Therapie werde aktuell nur im Rahmen von Forschungsversuchen angewandt. Überdies fehlten bis heute ärztliche Unterlagen, aus denen ersichtlich werde, welche konkreten Behandlungsmaßnahmen, durch welchen behandelnden Arzt durchgeführt werden sollten.
Nachdem auch im weiteren Fortgang keine medizinischen Unterlagen beigebracht worden sind, klägerseits jedoch eingewandt worden ist, dass für den Anspruch auf Ausstellung des Formulars E 112 maßgeblich auf das Leistungsspektrum im Behandlungsstaat abzustellen sei, schaltete die Beklagte sodann unter dem 08.09.2015 den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) ein, für den Dr. Sch. unter dem 10.09.2015 ausführte, dass nach einer Internet-Recherche davon auszugehen sei, dass es sich bei der begehrten Behandlung wohl um eine Therapie mit Myelin-gekoppelten Zellen handele, die sich im Anfangsstadium der Erprobung befinde; eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf könne nicht angenommen werden. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass der Klägerin eine dem medizinischen Standard entsprechende Therapie zur Behandlung der bestehenden, nicht regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung nicht zur Verfügung stehe.
Mit Bescheid vom 21.09.2015 entschied die Beklagte, dass der Kostenübernahme für die begehrte Myelin-Therapie nicht zugestimmt werden könne, da es sich hierbei nicht um eine vom GBA anerkannte Behandlungsmethode handele. Aus diesem Grund könne auch ein Formular E 112 nicht ausgestellt werden.
Hiergegen erhob die Klägerin am 22.10.2015 ohne Begründung Widerspruch, den die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 18.02.2016 zurückwies. Zur Begründung ihrer Entscheidung führte sie aus, nach § 16 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) ruhe der Anspruch der V...