Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Krankenhaus. Vergütungsanspruch für allogene Stammzelltransplantation bei chronischer myelomonozytärer Leukämie im Jahr 2008. Abmilderung des Qualitätsgebots. grundrechtsorientierte Leistungsauslegung. wirksame Einwilligung des Patienten als Vergütungsvoraussetzung

 

Orientierungssatz

1. Zum Anspruch auf Vergütung einer allogenen Stammzelltransplantation bei chronischer myelomonozytärer Leukämie im Jahr 2008.

2. Das Qualitätsgebot gilt grundsätzlich auch für die mit Fallpauschalen nach § 17b KHG vergüteten Krankenhausleistungen. Eine Abmilderung des Qualitätsgebots kann sich insbesondere daraus ergeben, dass auch bei der Beurteilung der Behandlungsmethoden im Krankenhaus in einschlägigen Fällen eine grundrechtsorientierte Auslegung der Grenzmaßstäbe nach Maßgabe der Rechtsprechung des BVerfG vom 6.12.2005 - 1 BvR 347/98 = BVerfG 115, 25 = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 48ff stattzufinden hat (vgl BSG vom 17.12.2013 - B 1 KR 70/12 R = BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 15 mwN; seit 1.1.2012 in § 2 Abs 1a S 1 SGB 5 normiert).

3. Versicherte müssen der konkreten Heilbehandlung nach hinreichender, gebotener Aufklärung entsprechend den allgemeinen Grundsätzen zugestimmt haben. Erforderlich ist eine so umfassende Information über Eigenart, Nutzen und Risiken der geplanten Behandlung, dass sie dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten im vollen Umfang Rechnung trägt (zur Einwilligung als Vergütungsvoraussetzung vgl BSG vom 17.12.2013 - B 1 KR 70/12 R aaO, RdNr 25).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 08.10.2019; Aktenzeichen B 1 KR 3/19 R)

 

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 11. Februar 2015 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf € 116.597,47 festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung für Leistungen der stationären Krankenhausbehandlung des klagenden Hochschulklinikums für die bei der Beklagten krankenversichert gewesene, 1934 geborene R. H.-S. (im Folgenden: Versicherte) im Zeitraum vom 30. September bis 30. Oktober 2008 in Höhe von zuletzt noch € 116.587,47.

Bei der Versicherten wurde erstmals im Februar 2008 eine chronische myelomonozytäre Leukämie (CMML I) diagnostiziert. Hierbei handelt es sich um eine Erkrankung des blutbildenden Systems, die zu den myelodysplastischen Syndromen (MDS) zählt, jedoch in einigen Aspekten Ähnlichkeit mit einer myeloproliferativen Neoplasie (MPN) hat. Nach mehrfachen Bluttransfusionen in 3- bis 4-wöchentlichen Abständen bis Juni 2008 wurde die Versicherte am 30. September 2008 in der Medizinischen Klinik Abteilung Innere Medizin II des Klägers, einer Hochschulklinik in der Rechtsform einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts, zur Durchführung einer fremd-allogenen Stammzelltransplantation (SZT) aufgenommen. Nach vorheriger dosisreduzierter Konditionierung mit Busulfan und Fludarabin erfolgte dort am 10. Oktober 2008 die HLA-idente fremd-allogene SZT mit 8,5 x 106 CD34+-Zellen (Ärztlicher Bericht des Prof. Dr. K. und des Dr. F., Ärztlicher Leiter der allogenen SZT an der Medizinischen Klinik Abteilung Innere Medizin II, vom 14. Mai 2009). Die Versicherte verstarb am 30. Oktober 2008 während des stationären Krankenhausaufenthaltes. Die Versicherte wurde nicht im Rahmen einer Studie behandelt. Darin führten sie ferner aus, aufgrund der Art der Erkrankung und des bisherigen Krankheitsverlaufs stelle nach dem derzeitigen Stand des medizinischen Wissens die SZT den einzigen kurativen Therapieansatz dar. Bei Vorliegen eines HLA-identen Fremdspenders sowie Fehlen von Kontraindikationen sei der Versicherten eine fremd-allogene SZT vorgeschlagen worden. Nach ausführlicher Aufklärung über die Risiken und Nebenwirkungen habe diese in die Behandlung eingewilligt.

Für die stationären Behandlungsleistungen vom 30. September bis 30. Oktober 2008 stellte der Kläger der Beklagten unter dem 9. Dezember 2008 € 117.477,10 (einschließlich des Qualitätssicherungszuschlags nach § 17b Abs. 1 Satz 5 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und DRG-Systemzuschlag, abzüglich € 260,00 geleistete Zuzahlungen) in Rechnung. Er kodierte u.a. die Diagnosis related Group (DRG) nach dem Fallpauschalen-Katalog 2008 A04C (Knochenmarktransplantation/Stammzelltransfusion, allogen, außer bei Plasmozytom, ohne In-vitro-Aufbereitung, HLA-identisch).

Die Rechnung des Klägers beglich die Beklagte zunächst vollständig und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) Baden-Württemberg mit einer sozialmedizinischen Begutachtung. Dr. L. überprüfte die Krankenhausabrechnung und gelangte in ihrem Gutachten vom 18. September 2009 zum Ergebnis, eine fremd-allogene SZT sei beim gesicherten MDS, auch bei der CMML, die einzige kurative Therapiemöglichkeit. Allerdings solle die Behandlung von Patienten im Alter über 60 Jahre, speziell über 70 Jahre, nicht außerhalb einer Studie erfolgen. Daher handele es sic...

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