Entscheidungsstichwort (Thema)
Zuordnung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung. Verfassungsmäßigkeit der Regelung in § 28b S 2 FRG. keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und keine Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bei Versäumung der Frist des § 28b S 2 FRG
Leitsatz (amtlich)
1. Die Bestimmung des § 28b S 2 FRG, wonach die gemeinsame Erklärung über die Zuordnung der Erziehungszeiten nach § 56 SGB VI innerhalb eines Jahres nach Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland abzugeben ist, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
2. Bei einer Fristversäumnis kommt weder eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand noch die Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs in Betracht.
Normenkette
FRG § 28b Sätze 1-2, § 1; SGB VI § 56 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Sätze 1, 5-8, §§ 57, 115 Abs. 6; SGB VI a.F. § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 9, § 249 Abs. 6-7; SGB I § 16 Sätze 1-2; SGB X § 44 Abs. 1 S. 1, Abs. 2; BGB § 130; BVFG § 4; SGG § 77
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 26. Juni 2018 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Klägers und der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Anerkennung von Kindererziehungszeiten (KEZ) bzw. Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung (KBZ) im Rahmen des Zugunstenverfahrens.
Der 1958 in A. in Kasachstan geborene Kläger ist anerkannter Spätaussiedler gemäß § 4 Gesetz über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge, Bundesvertriebenengesetz (BVFG) und zusammen mit seiner Ehefrau und den gemeinsamen Kindern B. D. (geboren 1981) und C. D. (geboren 1986) am 17.08.1993 in die Bundesrepublik Deutschland zugezogen. Die Ehefrau des Klägers (die spätere Beigeladene) ist als Ehegatte eines Spätaussiedlers nach § 7 Abs. 2 BVFG anerkannt.
Nach den - unstreitigen - Einlassungen der Beklagten wurde die Anrechnung von KEZ/KBZ auf Antrag der Beigeladenen vom 14.01.2010 für die Zeit des Aufenthaltes in Kasachstan vom 24.04.1981 bis 31.07.1993 abgelehnt, weil die Ehefrau nicht selbst als Spätaussiedler nach § 4 BVFG anerkannt ist. Für die Zeit des Aufenthaltes in der Bundesrepublik ab 01.08.1993 bis 07.07.1996 sind KBZ im Versicherungskonto der Ehefrau anerkannt worden.
Mit Bescheid vom 15.08.2013 stellte die Beklagte die im beigefügten Versicherungsverlauf enthaltenen Daten, die länger als sechs Kalenderjahre zurückliegen, also die Zeiten bis 31.12.2006 gemäß § 149 Abs. 5 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) verbindlich fest. Bezogen auf Erziehungszeiten (KEZ und KBZ) stellte die Beklagte fest, dass für das Kind B. KEZ für die Zeit vom 01.05.1981 bis 30.04.1982 und KBZ für die Zeit vom 24.04.1981 bis 23.04.1991 und für das Kind C. KEZ für die Zeit vom 01.07.1986 bis 30.06.1987 und KBZ für die Zeit vom 08.06.1986 bis 07.06.1996 nicht vorgemerkt werden. Zur Begründung gab die Beklagte jeweils an, dass ein anderer Elternteil das Kind überwiegend erzogen habe. Erzögen Eltern das Kind gemeinsam und sei von ihnen eine übereinstimmende Erklärung nicht, nicht übereinstimmend oder nicht rechtzeitig abgegeben worden, werde die KEZ nach § 56 Abs. 2 Satz 9 SGB VI bei dem Elternteil angerechnet, der das Kind - nach objektiven Gesichtspunkten - überwiegend erzogen habe. Ließen sich bei eigenverantwortlicher Prüfung überwiegende Erziehungsanteile eines Elternteiles nicht im erforderlichen Beweisgrad feststellen, sondern seien die Erziehungsbeiträge nach objektiven Maßstäben in etwa gleichwertig, werde die KEZ nach § 56 Abs. 2 Satz 8 SGB VI der Mutter zugeordnet. Die Prüfung überwiegender Erziehungsanteile habe ergeben, dass eine überwiegende Erziehung durch den Kläger nicht habe erfolgen können, weil er während der Erziehungszeit eine ganztägige Beschäftigung ausgeübt habe. Für gegebenenfalls vorhandene Fehlzeiten zwischen den Beschäftigungen liege kein Nachweis über einen überwiegenden Erziehungsanteil vor. Rechtsmittel legte der Kläger hiergegen zunächst nicht ein.
Mit dem am 18.09.2015 bezogen auf den Bescheid vom 15.08.2013 eingegangenen Überprüfungsantrag machte der Kläger (nachdem die Beklagte mitgeteilt hatte, dass die Versichertenakte bereits vernichtet und eine Verfilmung nicht durchgeführt worden sei) geltend, der Verweis auf den Umstand, wer das Kind angeblich überwiegend erzogen habe, sei nur ein Hilfstatbestand für den Fall, dass eine übereinstimmende Erklärung der Eltern nicht vorliege. Zutreffend sei, dass diese Erklärung grundsätzlich gemäß § 28b Fremdrentengesetz (FRG) innerhalb eines Jahres nach Zuzug in die Bundesrepublik Deutschland erfolgen müsse. Diese Frist könne aber nur ausgelöst werden, wenn die Versicherten Kenntnis hätten. Eine solche Kenntnis habe nicht bestanden. Es liege eine Verletzung der Auskunfts- und Beratungspflicht vor. Deshalb müsse die Erklärung im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs ermöglicht werden (mit Verweis auf Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Baye...