Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung der Rentner. Auffangpflichtversicherung. Bezieher einer deutschen Rente. Wohnsitz in Polen. zuletzt vor Wohnsitzverlegung Bezug von Leistungen nach dem SGB 2
Leitsatz (amtlich)
Ein Versicherter, der ohne die Voraussetzungen der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner zu erfüllen, ausschließlich eine gesetzliche Rente aus Deutschland erhält, in Polen wohnt und vor der Verlegung seines Wohnsitzes nach Polen in Deutschland Leistungen nach dem SGB II bezog, erfüllt die Voraussetzungen der Auffangpflichtversicherung nach § 5 Abs 1 Nr 13 SGB V.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 29.07.2016 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Bescheid vom 17.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.07.2015 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger in der Zeit vom 01.06.2014 bis zum 31.07.2017 der
(Auffang-)Versicherungspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung unterlag.
Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten in beiden Instanzen zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten (noch) über das Bestehen einer (Auffang-)Versicherungspflicht des Klägers in der Kranken- und Pflegeversicherung in der Zeit vom 01.06.2014 bis 31.07.2017.
Der 1949 geborene Kläger, deutscher Staatsangehöriger, war bis zum 31.12.2008 als Bezieher von Arbeitslosengeld II versicherungspflichtiges Mitglied der Beklagten. Zum 01.01.2009 verlegte der Kläger seinen Wohnsitz nach P. Dort geht er keiner abhängigen oder selbständigen Tätigkeit nach. Seither bestand nach Angaben des Klägers auch keine anderweitige Krankenversicherung.
Auf seinen Rentenantrag vom 21.02.2014 hin bezieht der Kläger seit dem 01.06.2014 eine (Regel-)Altersrente in Höhe von monatlich 738,04 € (Stand 01.07.2016). Ein Zuschuss zu den Aufwendungen für eine freiwillige oder private Krankenversicherung wird nicht gewährt. Weitere Renten- oder Sozialleistungen werden nach Angaben des Klägers nicht bezogen.
Mit Bescheid vom 20.10.2014 lehnte die Beklagte zu 1) die Versicherungsplicht in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) und der Pflegeversicherung ab, da der Kläger die erforderlichen Vorversicherungszeiten nicht erfülle.
Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 27.10.2014 Widerspruch. Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (≪BSG≫, Urteil vom 20.03.2013 - B 12 KR 8/10 R -, in juris) und des Europäischen Gerichtshofs (≪EuGH≫, Urteil vom 14.10.2010 - C-345/09 -, in juris) habe die Beklagte ihm zu Unrecht Versicherungsschutz verweigert.
Mit Schreiben vom 05.11.2014 erläuterte die Beklagte dem Kläger ausführlich die Voraussetzungen für eine Versicherung in der KVdR. Um als Rentner pflichtversichert zu werden, müsse er in der zweiten Hälfte des Erwerbslebens 90 Prozent gesetzliche Versicherungszeiten nachweisen können. Der Kläger habe u.a. für den Zeitraum vom 01.02.2009 bis 31.10.2013 keine Nachweise über eine gesetzliche Versicherung vorgelegt. Sofern der Kläger innerhalb dieses Zeitraums in P gesetzlich versichert gewesen sei, seien entsprechende Nachweise der polnischen Krankenkasse vorzulegen. Der Kläger solle mitteilen, ob sich sein Widerspruch vom 27.10.2014 damit erledigt habe.
Mit Schreiben vom 28.11.2014 erhob der Kläger auch hiergegen Widerspruch und beantragte im Verlauf des weiteren Schriftverkehrs die Aufnahme in die Versicherung nach den Regelungen des § 5 Abs. 1 Nr. 13 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V). Zur Begründung führte er in seinem Schreiben vom 09.02.2014 aus, jeder Bürger der Bundesrepublik Deutschland habe ein durchsetzbares Recht auf eine Versicherung im Krankheitsfall. Dieser Anspruch dürfe nicht vom Wohnort innerhalb der EU abhängig gemacht werden. Er sei nach wie vor Mitglied der Beklagten. Von einem Austritt oder einem Wechsel zu einer anderen Krankenkasse könne nicht ausgegangen werden.
Mit Bescheid vom 17.03.2015 lehnte die Beklagte zu 1) die Durchführung einer Auffangversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V ab. Die Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V erstrecke sich nach § 3 Abs. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) auf alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuchs haben. Da der Kläger seinen Wohnsitz in P habe, werde er von der Versicherungspflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 SGB V nicht erfasst. Das zitierte Urteil des BSG befasse sich mit einer Auffangversicherung für eine Versicherte, die ihren Wohnsitz in Deutschland habe. Demgegenüber habe der Kläger seinen Wohnsitz nicht in Deutschland. Deshalb könne das Urteil auf sein Anliegen nicht übertragen werden. Das zitierte Urteil des EuGH beziehe sich darauf, dass bei einem Verzug in einen Vertragsstaat die Versicherung in Deutschland grundsätzlich nicht ende, sondern im Rahmen des zwischenstaatlichen Rechts auch im Vertragsstaat weiter bestehe. Da jedoch beim Kläger beim Verzug nach P keine Krankenversicherung bestanden habe, kö...