Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Hilfe bei Krankheit. Übernahme der Krankenbehandlung für nicht versicherte Sozialhilfeempfänger durch die Krankenkassen im gesetzlichen Auftrag. private Krankenversicherung. vorrangige Selbsthilfemöglichkeit. Antrag auf Wiederaufnahme. kein Leistungsausschluss aufgrund des Studiums. Risikoprüfung
Leitsatz (amtlich)
Mit Einführung des Kontrahierungszwangs für Unternehmen der privaten Krankenversicherung zum 1.7.2007 stellt die Möglichkeit des Abschlusses eines privaten Krankenversicherungsvertrages für den Hilfesuchenden jedenfalls dann eine den sozialhilferechtlichen Anspruch auf Hilfe bei Krankheit ausschließende Selbsthilfemöglichkeit dar, wenn die Zuordnung zur privaten Krankenversicherung eindeutig ist. Die ggf fehlende finanzielle Möglichkeit der Beitragszahlung steht dem nicht entgegen.
Orientierungssatz
1. § 264 Abs 2 S 1 SGB 5 ist so zu lesen, dass Personen, die Anspruch auf Leistungen nach den §§ 47ff SGB 12 haben, für die organisatorische Bereitstellung der Hilfe bei Krankheit in den Zuständigkeitsbereich der Krankenkassen fallen. Durch § 264 Abs 2 bis 7 SGB 5 überträgt das Gesetz den Krankenkassen die Aufgabe, die einzelne Leistung der Krankenbehandlung gegenüber Leistungsberechtigten nach dem SGB 12 zu "übernehmen". Insoweit besteht zwischen der Krankenkasse und dem Sozialhilfeträger ein gesetzliches Auftrags- oder zumindest ein auftragsähnliches Verhältnis (vgl BSG vom 17.6.2008 - B 1 KR 30/07 R = BSGE 101, 42 = SozR 4-2500 § 264 Nr 1 und vom 28.10.2008 - B 8 SO 23/07 R = BSGE 102, 10 = SozR 4-2500 § 264 Nr 2). Aus diesem erwächst dem einzelnen Hilfebedürftigen ein Anspruch gegen die Krankenkasse auf die Erbringung einzelner Leistungen der Behandlung im Krankheitsfall (vgl BSG vom 17.6.2008 aaO). Grundlage hierfür ist ein grundsätzlicher Leistungsanspruch des Hilfebedürftigen gegen den Sozialhilfeträger nach den Vorschriften des Dritten bis Neunten Kapitels des SGB 12.
2. Ein Hilfebedürftiger ist aufgrund seines Studiums weder gem § 22 Abs 1 SGB 12 noch nach § 21 S 1 SGB 12 oder der entsprechenden Vorschrift des § 5 Abs 2 SGB 2 von Ansprüchen auf Krankenhilfe ausgeschlossen.
3. Der Abschluss eines Vertrages darf nicht vom Ergebnis einer Risikoprüfung abhängig gemacht werden.
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Mai 2009 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über einen grundsätzlichen Anspruch des Klägers auf sozialhilferechtliche Hilfe bei Krankheit in Form der Übernahme der Krankenbehandlung durch eine Krankenkasse.
Der am … 1973 geborene Kläger ist seit 1998 eingeschriebener Student, nach zweimaligem Wechsel nunmehr im dritten Studiengang. So war er im Sommersemester 2009 im 19. Fach- bzw. 22. Hochschulsemester immatrikuliert. Er wohnt mietfrei in einem Zimmer im Haus seiner Mutter. Regelmäßige Einkünfte bezieht er nicht. Nach eigenen Angaben erzielt er unregelmäßiges Einkommen aus Nachhilfetätigkeiten und Gelegenheitsarbeiten. Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) bezieht er wegen des Studienwechsels und der Überschreitung der Altersgrenze nicht. Vielmehr besteht eine Rückforderung früher erbrachter BAföG-Leistungen. Bis einschließlich März 2005 war der Kläger als Student in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Auf seinen Antrag wurde er mit Wirkung zum 1. April 2005 von der AOK Baden-Württemberg von der Versicherungspflicht befreit. Anschließend versicherte sich der Kläger bei einem Unternehmen der privaten Krankenversicherung (im Folgenden HM). Wegen gestiegener Versicherungsbeiträge kündigte er diesen Vertrag zum 30. September 2007. Seither ist er ohne Krankenversicherungsschutz.
Eine Feststellung der Pflichtversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung wurde von der AOK Baden-Württemberg mit Bescheid vom 1. Oktober 2008 und Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 2008 abgelehnt. Hierzu ist ein Verfahren vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) anhängig (S 9 KR 5682/08).
Am 9. Juli 2008 beantragte er beim Beklagten die Gewährung von Sozialhilfe in Form der Krankenhilfe, wobei er angab, unter Migräne zu leiden. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Schreiben vom 1. August 2008 ab. Mit Schreiben vom 5. Oktober 2008 stellte der Kläger Antrag auf “Erstattung von Kosten für eine Krankenversicherung„, was er dahingehend näher präzisierte, dass dies “im Rahmen einer Krankenkassenmitgliedschaft besonderer Art gem. § 264 SGB V„ erfolgen solle. Er beantrage die Aufnahme in die gesetzliche Krankenversicherung nach § 264 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch (SGB V).
Mit Bescheid vom 13. Oktober 2008 lehnte der Beklagte den Antrag ab, da dem Kläger die gegenüber Leistungen der Sozialhilfe vorrangige Selbsthilfemöglichkeit zur Verfügung stehe, sich durch einen Antrag auf Wiederaufnahme beim früheren privaten Krankenversicherungsunternehmen gegen die Risiken bei Krankheit abzusichern. Den hiergegen eingeleg...