nicht rechtskräftig
Verfahrensgang
SG Stuttgart (Entscheidung vom 28.08.2002; Aktenzeichen S 2 SB 5016/99) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstat-ten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte dem Kläger das Arzneimittel "Dronabinol-Tropfen" als Sachleistung zur Verfügung zu stellen hat.
Der am 1963 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Seit ca. 1985 leidet er an einer Encephalomyelitis disseminata (Multiple Sklerose - MS); diese verlief bisher schubförmig mit unvollständigen Remissionen. Als Folge der Erkrankung bestehen beim Kläger Gehstörun-gen mit Reduzierung der maximalen Gehstrecke sowie Kribbelparästhesien vorwiegend im Be-reich der unteren Extremitäten, darüber hinaus ist eine zunehmende Ataxie festzustellen.
In den vergangenen Jahren hat der Kläger die Schmerzzustände und Sensibilitätsstörungen selbstständig durch die Einnahme von selbst angebautem Cannabis zu beeinflussen versucht und seinen Angaben zufolge dabei günstige Auswirkungen auf seine MS-Symptomatik verspürt. Im Hinblick darauf verordnete der Neurologe und Psychiater Dr. S. am 28. Juli 1999 unter der Di-agnose MS mit schwerer Ataxie und Tetraspastik "Dronabinol-Tropfen 2 % 3 ml". Dronabinol ist ein Inhaltsstoff der Hanfpflanze und ein verkehrs- und verschreibungsfähiges Betäubungsmit-tel nach Anlage III zu § 1 Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG). Dieses Cannaboid wur-de seinerzeit durch die B.-Apotheke in Hamburg rezepturmäßig hergestellt; zwischenzeitlich erfolgt die Herstellung der Rezeptursubstanz durch die Firma THC-Pharm. In der Bundesrepu-blik Deutschland ist arzneimittelrechtlich kein Arzneimittel auf der Grundlage von Cannabis zugelassen. Als Fertigarzneimittel ist der (synthetisch hergestellte) Wirkstoff Dronabinol unter dem Warennamen "Marinol" in den USA im Verkehr; die Zulassung erfolgte für die Behandlung von Anorexie bei Aids-Patienten sowie zytostatikbedingtem Erbrechen. Hierdurch bedingt darf Marinol auf der Grundlage des § 73 Abs. 3 des Arzneimittelgesetzes (AMG) im Inland verordnet und importiert werden.
Am 02. August 1999 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für das Medikament Dronabinol. Er machte geltend, die relative Stabilität seiner schweren Erkrankung nur mit Hilfe der Selbstmedikation mit Cannabis erreicht zu haben, wobei die wenigen Male, die er es abgesetzt habe, eine rapide Verschlechterung der Gesamtsymptomatik zu verzeichnen ge-wesen sei. Da ein Polizeieinsatz den weiteren Eigenanbau unmöglich gemacht habe, sei er jetzt auf eine Verschreibung des Medikaments angewiesen. Er legte in Kopie das erwähnte Rezept des Dr. S. vom 28. Juli 1999, die ärztliche Bescheinigung des Dr. M., Chefarzt der Klinik Dr. E. (Krankenhaus für MS- und andere Nerven- und Stoffwechselleiden), vom 22. Juli 1999, ein In-formationsblatt der B.-Apotheke sowie den Artikel "Verwendung von Cannabis bei MS?" aus ACM-News Nr. 7, Januar 1999 (ACM = Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin) vor. In der vorgelegten Bescheinigung des Dr. M. befürwortet dieser nervenärztlicherseits die kontrollierte Einnahme von Dronabinol, nachdem der Kläger mit dem regelmäßigem Konsum von Cannabis günstige Auswirkungen auf seine MS-Symptomatik verspürt habe. Die Beklagte veranlasste eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), wobei Dr. M.-J. ausweislich seiner Stellungnahme vom 16. August 1999 die Kostenübernahme nicht befürworte-te. Die in dem vorgelegten Beitrag zitierten Studien/Kasuistiken bzw. Untersuchungen mit sehr geringen Probandenzahlen, wobei zum Teil subjektive Angaben über "allgemeine" Besserungen als Kriterium für eine Wirksamkeit herangezogen worden seien, reichten bei weitem nicht aus, um einen therapeutischen Effekt des begehrten Präparates nachzuweisen. Um die Effektivität dieser Behandlung nachzuweisen, seien vielmehr wissenschaftlich fundierte Aussagen aufgrund statistisch einwandfreier Untersuchungsdesigns mit einer genügend großen Probandenzahl erfor-derlich. Gestützt auf diese Stellungnahme lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Be-scheid vom 19. August 1999 ab. Im Widerspruchsverfahren verwies der Kläger auf eine Umfra-ge unter 112 MS-Patienten in Schottland und Großbritannien aus dem Jahre 1997 sowie auf in-ternationale wissenschaftliche Stellungnahmen, nach denen Cannabis bei MS als wirksam beur-teilt worden sei. Im Übrigen legte er ausführlich seine Krankengeschichte dar. Die Beklagte hol-te die telefonische Auskunft der B.-Apotheke vom 12. Oktober 1999 sowie die Auskunft des Dr. S. vom 06. Dezember 1999 ein. Ferner veranlasste sie eine weitere Stellungnahme des MDK, wobei Dr. M.-J. ausweislich seiner Stellungnahme vom 13. Dezember 1999 an seiner bisherigen Einschätzung festhielt. Auch der darüber hinaus hinzugezogene Dr. Bi. befürwortete die Kosten-übernahme ausweislich ...