Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Rücknahme eines Beitragsbescheids ex tunc zu Ungunsten des Beitragspflichtigen. Ermessensentscheidung. objektive Unrichtigkeit im Lohnnachweis. Bewertungsmaßstab. Voraussetzungen einer rückwirkenden Erhöhung der Umlage zur gesetzlichen Unfallversicherung. wenn die Richtigkeit des Lohnnachweises streitig ist
Leitsatz (amtlich)
Die Rücknahme eines Beitragsbescheids mit Wirkung für die Vergangenheit zu Ungunsten eines Beitragspflichtigen nach § 168 Abs. 2 SGB VII setzt die Ausübung von Ermessen voraus.
Ob Angaben im Lohnnachweis objektiv unrichtig im Sinne des § 168 Abs. 2 Nr. 2 SGB VII sind, beurteilt sich nach der im Veranlagungsbescheid bestandskräftig festgesetzten Gefahrklasse bzw. den Gefahrtarifstellen auch dann, wenn der Veranlagungsbescheid insoweit rechtswidrig sein sollte, seine Festsetzungen aber nicht ins Leere gehen.
Normenkette
SGB VII § 168 Abs. 2 Nr. 2, Abs. 1, § 165 Abs. 1 S. 1, § 160; SGB X § 35 Abs. 1 S. 3
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 17. Januar 2008 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht die Rechtmäßigkeit der Beitragsberichtigungsbescheide für die Jahre 1999 bis 2002 bzw. die Beitragsfestsetzung für das Jahr 2003 und die damit verbundene Aufforderung zur Nachzahlung von 13.728,15 € für die Jahre 1999 bis 2002.
Die Klägerin betreibt ein Brauereigasthaus (Gewerbeanmeldung der Stadt F. vom 1. Juni 1990). In ihrer Anmeldung zur Beklagten hat die Klägerin als Unternehmensgegenstand die Errichtung und den Betrieb einer Hausbrauerei angegeben, auf die Frage nach dem Hauptbetrieb “Brauerei„ mit einem Fragezeichen versehen und darunter vermerkt “langfristig sicher Gaststätte„ und die Frage nach weiteren Grundstücken verneint. Daneben hat die Klägerin von April 1993 bis Mai 2000 das Speiserestaurant K. in F. betrieben.
Mit Veranlagungsbescheid vom 24. Oktober 1989 veranlagte die Beklagte das Gesamtunternehmen zur Gefahrklasse 2,9 (Gefahrtarifstelle 12) des ab 1. Januar 1988 geltenden Gefahrtarifs (“Herstellung von Erfrischungsgetränken, Brauereien, Bauereiniederlagen„). Die bei der Klägerin erzielten Arbeitsentgelte wurden in den Beitragsbescheiden für die Jahre 1989 bis 1998 insgesamt dem Unternehmensbereich Produktion (Gefahrklasse 2,9 bzw. ab 1993 bei Gefahrtarifstelle 39 [Brauereien] Gefahrklasse 3,1) zugewiesen.
Mit Bescheid über die Veranlagung zu den Gefahrklassen vom 10. August 1999 veranlagte die Beklagte das Gesamtunternehmen der Klägerin (Brauerei) ab 1. Januar 1999 wie folgt:
|
Gefahrtarifstelle |
Unternehmensbereich |
Gefahrklasse |
32 |
Produktion |
4,00 |
33 |
Büro/Verwaltung |
1,00 |
37 |
Vertrieb/Verkauf/Lager/sonstige Tätigkeiten |
2,60 |
Weiter war ein “wichtiger Hinweis für die Erstattung der Lohn- und Beschäftigungsnachweise„ beigefügt. Die Klägerin wurde aufgefordert, um eine ordnungsgemäße Beitragsberechnung und dadurch eine gerechte Beitragsverteilung zu gewährleisten, im Lohn- und Beschäftigungsnachweis nicht nur die Gesamtarbeitsstunden und das Gesamtarbeitsentgelt nachzuweisen, sondern auch die Aufteilung auf die Unternehmensbereiche (“Davon-Zahlen„) exakt vorzunehmen.
Mit Bescheid vom 5. April 2000 setzte die Beklagte den Beitrag für das Jahr 1999 in Höhe von 25.302,94 DM fest, mit Bescheid vom 5. April 2001 den Beitrag für das Jahr 2000 in Höhe von 15.924,84 DM, für 2001 in Höhe von 8.288,11 € (Bescheid vom 11. April 2002), mit Bescheid vom 3. April 2003 den Beitrag für 2002 in Höhe von 10.169,54 €. Dabei wurden die Entgelte jeweils in der Gewerbegruppe 93 (Brauerei) zur Tarifstelle 32, Gefahrklasse 4,0 (Produktion), der Gefahrtarifstelle 33 mit Gefahrklasse 1,0 (Büro/Verwaltung) und der Tarifstelle 37 mit der Gefahrklasse 2,6 (Vertrieb/Verkauf/Lager/sonstige Tätigkeiten) des Gefahrtarifs zugeordnet. In den der Beitragsberechnung jeweils zugrunde liegenden Entgeltnachweisen hatte die Klägerin das Gesamtbruttoarbeitsentgelt aufgeteilt nach den Bereichen Produktion, kaufmännische und verwaltende Tätigkeiten (Büro) sowie Vertrieb/Verkauf/Lager/sonstige Tätigkeiten angegeben. Die jeweiligen Beitragsbescheide haben diese Aufteilung entsprechend in die Berechnung des Beitrags übernommen und den jeweiligen Gefahrklassen zugeordnet.
Im Rahmen der am 2. Juni 2003 durchgeführten Betriebsprüfung stellte die Beklagte fest, dass die wirtschaftliche Zielsetzung des Gesamtunternehmens der Betrieb einer Gaststätte sei. Die Brauerei verfolge keine eigenen wirtschaftlichen Ziele und wäre in ihrer jetzigen Form ohne die Gaststätte wirtschaftlich nicht existenzfähig. Daher sei die Brauerei unfallversicherungsrechtlich als Hilfsunternehmen des Gastronomiebetriebs einzustufen. Die Veranlagung sei in die Tarifstelle 4 (Gaststätten und Beherbergungsgewerbe und deren Serviceunternehmen, Gewerbegruppe 16 Gefahrklasse 4,5 - wohl zutreffend: 3,8) zu ändern. Auch sei das Service-Personal zu Unrecht in den...