Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Auftragsverwaltung nach dem BVG. Gewährung psychotherapeutischer Behandlung. kein Rechtsschutzbedürfnis des Versorgungsträgers. Erstattungs- oder Schadensersatzansprüche des Versorgungsträgers gegen die Krankenkasse für Leistungen der Heilbehandlung nur bei Rückgriffsvorbehalt. Geltung der Vorschriften des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung
Leitsatz (amtlich)
1. Im gesetzlichen Auftragsverhältnis zwischen dem Träger der Versorgungsverwaltung und der Krankenkasse des Geschädigten fehlt der Feststellungsklage des Versorgungsträgers regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis.
2. Sofern der Versorgungsträger Leistungen der Heilbehandlung anstelle der im Rahmen der Auftragsverwaltung an sich zuständigen Krankenkasse erbringt, ohne sich einen Rückgriff gegen sie vorzubehalten, kann er keine Erstattungs- oder Schadensersatzansprüche geltend machen.
3. Erbringt die Krankenkasse im Auftrag des Versorgungsträgers ambulante Psychotherapie, gelten die Vorschriften des Rechts der gesetzlichen Krankenversicherung, insbesondere die Vorschriften der Psychotherapie-Richtlinie (juris: PsychThRL).
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 21. Oktober 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 5.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die beklagte Krankenkasse im Rahmen der Auftragsverwaltung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) für die Gewährung psychotherapeutischer Behandlung der Beigeladenen zuständig ist.
Die 1956 geborene Beigeladene wurde als jüngere von zwei Geschwistern (ihr Bruder ist 9 Jahre älter als sie) am B. geboren. Nach der Geburt gab die Mutter der Beigeladenen ihre Berufstätigkeit auf. Die Beigeladene erwarb den Realschulabschluss und absolvierte von 1971 bis 1973 eine Ausbildung als medizinisch-technische Assistentin. Bis 1976 arbeitete sie in ihrem Ausbildungsberuf in einer Arztpraxis. Seitdem war sie als Sekretärin in einer psychologischen Beratungsstelle in Freiburg tätig. 22 Jahre später wechselte sie als Sachbearbeiterin im Bereich Parkraumbewirtschaftung ins Tiefbauamt. Sie ist ledig und hat keine Kinder. 2004 nahm sie den Namen ihrer Großmutter an (Urkunde der Stadt Freiburg vom 9. August 2004).
1978 nahm die Beigeladene eine psychoanalytische Behandlung auf. In deren Verlauf äußerte sie Missbrauchs- und Gewalterfahrungen, beginnend ab ihrem ersten Lebensjahr. Diese betrafen zunächst ihren Bruder, mit dem sie während der Kindheit ein Zimmer geteilt hatte. Die Beigeladene teilte während der Therapie mit, ihr Bruder habe sich jeden Sonntag von ihr befriedigen lassen und später auch den Geschlechtsverkehr mit ihr vollzogen. Später habe er sie dazu gezwungen, auch ältere Freunde mit der Hand sexuell zu befriedigen. Im weiteren Verlauf kamen der Beigeladenen auch Erinnerungen an Missbräuche durch ihre Eltern. Nach dem späteren Bericht des Psychiaters Dr. W. vom 21. Juli 2004 tauchten diese Erinnerungen erstmals im Jahre 1993 auf. Die Beigeladene gab hierzu an, sie habe auch ihren Vater und ihre Mutter mit den Händen befriedigen müssen. Zeitweise habe sie zwischen den Eltern im Ehebett schlafen müssen, bei dieser Gelegenheit habe sie ihre Mutter mithilfe ihrer Hände befriedigt und gleichzeitig habe ihr Vater mit ihr Analverkehr gehabt (vgl. auch Bericht des Psychotherapeuten Dr. K. H. vom 10. August 2004). Der Therapeut erachtete die Angaben nur angesichts der Art und Schwere der Erkrankung (andauernde Persönlichkeitsveränderungen nach Extrembelastung als Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung [PTBS]) für glaubhaft.
Seit 2000 war die Beigeladene arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte, die gesetzliche Krankenversicherung der Beigeladenen, bewilligte ihr auf ihren Antrag vom 3. Januar 2001 zunächst eine Kurztherapie mit 25 Psychotherapie-Stunden (Bescheid vom 3. Januar 2001), wandelte diese auf Antrag in eine Langzeittherapie mit 135 Therapiestunden um (Bescheid vom 10. April 2001) und bewilligte auf einen Verlängerungsantrag hin weitere 80 Therapiestunden (Bescheid vom 6. März 2003). Hiervon absolvierte sie bis zum 12. Mai 2003 161 Stunden analytischer Einzeltherapie, die nicht zu einer “entscheidenden Besserung geführt„ hatte (Bericht des Behandlers Dr. K. vom 10. August 2004). Sodann wurde eine stationäre Behandlung notwendig, die vom 19. Juni bis 31. Juli 2003 in der Klinik F. zu Lasten der Rentenversicherung durchgeführt wurde. Dort äußerte sie unverrückbar den Wunsch nach einer Dauerberentung. Aus jener stationären Rehabilitation wurde sie mit dem Bemerken entlassen, bei konsequenter psychotherapeutischer Behandlung werde bei vorhandenen Ressourcen voraussichtlich in drei bis sechs Monaten Arbeitsfähigkeit erreich...