Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlicher Leistungen. Vertrauensschutz bei nachgehender Honorar-Richtigstellung. Kenntnis des Vertragsarztes von einer Verminderung des Tätigkeitsumfangs eines angestellten Arztes
Leitsatz (amtlich)
Die Kassenärztliche Vereinigung darf die im RLV-Zuweisungsbescheid verfügte RLV-Festsetzung im Honorarbescheid nach Maßgabe der für die Honorar-Richtigstellung geltenden Vorschriften (§ 106a SGB V aF bzw § 106d SGB V nF) richtig stellen (RLV-Richtigstellung). Wegen der Zukunftsbezogenheit der RLV-Zuweisung sind die Grundsätze zum Vertrauensschutz bei nachgehender Honorar-Richtigstellung für die nachträgliche RLV-Richtigstellung zu modifizieren; Vertrauensschutz findet jedenfalls nicht statt, wenn der Vertragsarzt den Grund für die nachträgliche RLV-Richtigstellung gekannt hat (hier: Verminderung des Tätigkeitsumfangs eines angestellten Arztes im Abrechnungsquartal).
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 23.07.2015 abgeändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Honorarbescheids vom 07.10.2009 und des Honorarbescheids/Korrekturbescheids vom 24.06.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.06.2010 verurteilt, das Honorar der Klägerin für das Quartal 1/2009 unter Anwendung eines RLV festzusetzen, das nach einem arztgruppenspezifischen RLV-Fallwert von 17,08 € berechnet wird. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt 9/10, die Beklagte trägt 1/10 der Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 11.920,98 € endgültig festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt höheres Honorar für das Quartal 1/2009.
Die Klägerin ist als Fachärztin für Haut- und Geschlechtskrankheiten mit Sitz in N. mit einem vollen Versorgungsauftrag zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Sie hatte (mit Genehmigung des Zulassungsausschusses, ZA) bis zum Quartal 4/2008 eine weitere Ärztin (Dr. D.) mit vollem Versorgungsauftrag angestellt. Ab dem Quartal 1/2009 wurde der Versorgungsauftrag der Dr. D. auf 0,25 vermindert und ein weiterer Arzt (Dr. Da.) mit einem Versorgungsauftrag von 0,75 angestellt.
Mit Bescheid vom 19.12.2008 wies die Beklagte der Praxis der Klägerin für das Quartal 1/2009 ein arztbezogenes Regelleistungsvolumen (RLV) von (insgesamt) 79.543,66 € zu. In dem RLV-Zuweisungsbescheid bzw. den beigefügten Anlagen ist Folgendes ausgewiesen:
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Klägerin |
Dr. D. |
Dr. Da. |
Arztgruppenspezifischer Fallwert |
17,08 € |
17,08 € |
17,08 € |
arztgruppenspezifische Erhöhung des RLV |
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(bei Vorliegen der geforderten Qualifikation) |
0,28 € |
- |
4,61 € |
Arztindividueller Fallwert |
17,36 € |
17,08 € |
21,69 € |
Anerkannte RLV-relevante Fallzahl aus |
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Quartal 1/2008 |
1.388 |
1.388 |
1.130 |
Arztindividueller Anpassungsfaktor nach Altersklasse |
0,9928 |
0,9928 |
1,0000 |
Arztindividueller Fallwert nach Anpassung |
17,24 € |
16,96 € |
21,69 € |
Arztbezogenes Regelleistungsvolumen |
24.095,68 € |
23.707,04 € |
24.509,70 € |
Dem RLV-Zuweisungsbescheid war folgender Vorbehalt beigefügt:
Diese Zuweisung des Regelleistungsvolumens für das Quartal 1/2009 steht unter den folgenden Vorbehalten, so dass ggf. Anpassungen notwendig werden:
- Die rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen für die Zuweisung stehen noch nicht definitiv fest. Neben der Höhe der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung sind die die gesetzlichen Vorgaben umsetzenden Beschlüsse bzw. Vereinbarungen auf Bundes- oder Landesebene noch nicht endgültig bzw. noch nicht unanfechtbar.
- Die der Berechnung zugrunde gelegten Verhältnisse können sich nach der Zuweisung verändern. Die betrifft Praxisgründungen, Praxisauflösungen, Praxisverlegungen, Praxisübernahmen, Wechsel der Arztgruppe, Wechsel des Versorgungsbereichs oder vergleichbare Sachverhalte.
- aufgrund der Teilnahme an Verträgen nach den §§ 73b, 73c oder 140 ff. SGB V
- aufgrund erforderlicher Anpassungen der Berechnungen.
Dem RLV-Zuweisungsbescheid war (außerdem) eine Rechtsbehelfsbelehrung für den Widerspruch beigefügt.
Am 20.01.2009 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den RLV-Zuweisungsbescheid vom 19.12.2008 für das Quartal 1/2009. Das RLV sei verspätet zugewiesen worden und die RLV-Berechnung sei nicht transparent.
Mit Honorarbescheid vom 07.10.2009 setzte die Beklagte das Honorar der Klägerin für das Quartal 1/2009 auf 67.839,17 € (nach Konvergenz 70.247,52 €) fest. Im Honorarbescheid bzw. den beigefügten Anlagen ist (u.a.) Folgendes ausgewiesen:
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Klägerin |
Dr. D. |
Dr. Da. |
RLV anerkannt |
28.855,61 € |
14.400,16 € |
16.046,42 € |
RLV überschritten (quotiert vergütet) |
1.432,92 € |
715,09 € |
796,84 € |
Anpassung Konvergenz/Stützung |
1.198,07 € |
572,42 € |
637,86 € |
Arztgruppenspezifischer Fallwert |
16,93 € |
16,93 € |
16,93 € |
Arztgruppenspezifische Erhöhung des RLV |
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(bei Vorliegen der geforderten |
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Qualifikation) |
0,28 € |
0,00 € |
4,61 € |
Arztindividueller Fallwert |
17,21 € |
16,93 € |
21,54 € |
Anerkannte RLV-relevante Fallzahl |
1.388 |
348 |
0 |
Arztindividueller Anpas... |