Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Arzneimittelrabattverträge. Krankenkassen unterliegen Willkürverbot -faire Gleichbehandlung im Vertragsvergabeverfahren. Durchführung eines transparenten, diskriminierungsfreien, verhältnismäßigen und nachprüfbaren Auswahlverfahren. Gewährleistung des von der Sozialgerichtsbarkeit zu gewährenden Rechtsschutzes. erschöpfende Leistungsbeschreibung bzgl Angebotsvergleich. Zerlegung der Ausschreibung in Lose. Verfassungsmäßigkeit des § 130a SGB 5
Leitsatz (amtlich)
1. Die Krankenkassen unterliegen nicht nur dem Willkürverbot aus Art 3 GG. Es kann nicht nur eine sachwidrige Ungleichbehandlung nach Belieben der Krankenkassen verboten sein, im Verfahren der Vertragsvergabe ist vielmehr eine faire Gleichbehandlung aller Bieter geboten. Eine strengere Prüfung ist angebracht, wenn die fragliche Maßnahme in den Schutzbereich eines anderen eingreift - hier die Grundrechte der betroffenen Pharma-Unternehmen .
2. Bei Verfahren zum Abschluss von Rabattverträgen gem § 130a Abs 8 SGB 5 muss zwar kein förmliches Vergabeverfahren stattfinden, es ist jedoch in allen Fällen ein transparentes, diskriminierungsfreies, verhältnismäßiges und nachprüfbares Auswahlverfahren durchzuführen. Hierbei kann nicht außer Acht gelassen werden, dass das Vergaberecht in langer Rechtsentwicklung schon herausgearbeitet hat, was im Zusammenhang mit einer Ausschreibung und der anschließenden Vergabe als fair und transparent anzusehen ist. Es spricht also nichts dagegen, zumindest die Grundsätze des materiellen Vergaberechts der §§ 97 bis 101 GWB entsprechend heranzuziehen, also auch auf die zum Teil im Vergaberecht nach dem GWB iVm der VOL/A zum Ausdruck kommenden Regelungen für ein "faires Ausschreibungsverfahren" zurückzugreifen.
3. Der gem § 130a Abs 9 SGB 5 von der Sozialgerichtsbarkeit insgesamt zu gewährende Rechtsschutz wird dann gewährleistet, wenn das Vergaberecht entsprechend auch auf Ausschreibungen von Rabattverträgen angewendet wird, allerdings mit der Maßgabe, dass vorrangig die Vorschriften des materiellen Sozialrechts gelten und innerhalb dieses Rahmens bei der Umsetzung öffentlich-rechtlicher Aufträge vergaberechtliche Grundsätze heranzuziehen sind. Konkret bedeutet dies, dass das SGB 5 überall dort zur Anwendung kommt, wo pharmazeutische Unternehmer nicht als Bieter, sondern als Adressat von Rechten und Pflichten nach dem SGB 5 angesprochen sind (wie etwa in § 130a Abs 8 SGB 5). Erst dort, wo eine Ausschreibung stattfindet, sind ihre Rechte als Bieter entsprechend dem Vergaberecht zu beachten.
4. Die Krankenkassen müssen die Leistungen so erschöpfend beschreiben, dass alle Bewerber die Beschreibung im gleichen Sinne verstehen und die Angebote miteinander verglichen werden können. Vorhandene Zahlen über das zu erwartende Verordnungsvolumen müssen die Krankenkassen den Bietern zur Verfügung stellen, um den Bietern eine zuverlässige Preisermittlung zu ermöglichen.
5. Die Krankenkassen müssen ihre Ausschreibung in Lose zerlegen, um auch kleineren und mittleren Unternehmen eine Beteiligung bei umsatzstarken Wirkstoffen zu ermöglichen. Dies folgt auch aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil wegen des in Bezug auf die Versicherten der Krankenkasse zu erwartenden bundesweiten "faktischen Verkaufsverbots" (vgl § 129 Abs 1 S 3 SGB 5) nicht zum Zuge gekommene Bieter in ihrer wirtschaftlichen Existenz bei einer ausschließlich bundesweiten Ausschreibung unverhältnismäßig stark betroffen sind.
Orientierungssatz
Die Regelung des § 130a SGB 5 ist verfassungsgemäß. (vgl z.B. BVerfG vom 13.9.2005 - 2 BvF 2/03 = SozR 4-2500 § 266 Nr 9).
Tenor
Den Antragstellerinnen wird untersagt, in dem vorliegenden Verfahren zum Abschluss von Rabattverträgen Zuschläge auf die vom Sozialgericht im Beschluss vom 20. Dezember 2007 - S 10 KR 8604/07 ER - unter Ziff. 2 genannten Wirkstoffe zu erteilen.
Die Anträge der Antragstellerinnen auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes werden zurückgewiesen.
Die weitergehenden Feststellungsanträge der Antragstellerinnen werden ebenfalls zurückgewiesen.
Die Antragstellerinnen tragen die Kosten beider Instanzen, mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen Ziff. 6 bis Ziff. 50.
Der Streitwert wird auf 2.500.000.- € festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten über die aufschiebende Wirkung der am 29.11.2007 gegen die Beschlüsse der zweiten Vergabekammer des Bundes vom 15.11.2007 (VK 2 - 102/107, VK 2 105/07, VK 2 - 108/07, VK 2 - 114/07, VK 2 - 117/07, VK 2 - 120/07, VK 2 - 123/07) eingereichten Klagen. Im Ergebnis ist damit streitig, ob den Antragstellerinnen zu gestatten ist, das Vergabeverfahren zum Abschluss von Rabattverträgen fortzuführen und auf die von ihnen ausgewählten wirtschaftlichen Angebote hinsichtlich insgesamt 83 verschiedener Wirkstoffe Zuschläge zu erteilen.
Die Antragstellerinnen haben gemeinsam unter Federführung der Antragstellerin Ziff. 1 (AOK Baden-Württemberg) für insgesamt 83 Wirkstoffe die auf dem Markt in Deutschland für diese ...