Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfe zur angemessenen Schulbildung. Schulbegleiter. kein Abzug pflegerischer Maßnahmen. keine Nachrangigkeit der Eingliederungshilfe nach § 2 Abs 1 SGB 12. Anwendbarkeit des § 13 Abs 3 S 3 SGB 11
Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch eines behinderten Menschen auf Eingliederungshilfe umfasst auch einen neben der Sonderschulbetreuung erkennbaren ergänzenden sozialhilferechtlichen Bedarf (hier: Schulbegleiter als Integrationshelfer).
2. Der Sozialhilfeträger darf die Leistung nicht um während der Schulbegleitung erbrachte pflegerische Maßnahmen und Hilfeleistungen kürzen. Der Nachranggrundsatz des § 2 Abs 1 SGB 12 wird durch § 13 Abs 3 SGB 11 für das Verhältnis von Eingliederungshilfe zur Pflegeversicherung beseitigt; der behinderte Mensch kann nicht auf eine anteilige Inanspruchnahme von Leistungen der Pflegeversicherung verwiesen werden.
3. Ob eine Leistung auf Integration abzielt und damit Eingliederungshilfe ist oder eine (rein) pflegerische Hilfe darstellt, richtet sich nach dem Schwerpunkt der Maßnahme. Eine Aufspaltung findet nicht statt.
Orientierungssatz
1. Ein Anspruch auf Leistungen der Eingliederungshilfe in Form von Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung besteht nicht nur in den Fällen so genannter Schulbegleiter von behinderten Menschen, die eine Regelschule besuchen, sondern auch beim Besuch einer grundsätzlich auf die Behinderung des Kindes zugeschnittenen Sonderschule, denn auch dort ist ein sozialhilferechtlicher Eingliederungsbedarf nicht generell ausgeschlossen (vgl LSG Stuttgart vom 9.1.2007 - L 7 SO 5701/06 ER-B = FEVS 58, 285).
2. Bei Leistungen der Eingliederungshilfe in Form von Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung in Form eines Schulbegleiters handelt es sich nicht um Tätigkeiten, die zum Kernbereich der pädagogischen Arbeit eines Lehrers gehören, sondern um solche der ständigen Beaufsichtigung zur Vermeidung einer Selbstgefährdung und der Hilfe bei alltäglichen Verrichtungen (vgl VG Karlsruhe vom 21.2.2003 - 8 K 14/01).
3. Die Regelung des § 13 Abs 3 S 3 SGB 11 hat auch nach Inkrafttreten des SGB 12 Bestand; die Bestimmung wurde lediglich durch das SozhiEinOG mit Wirkung vom 1.1.2005 in ihrem Wortlaut der neuen Gesetzeslage angepasst. Deshalb besteht weder nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung noch nach deren Sinn und Zweck eine Veranlassung, nach Inkrafttreten des SGB 12 das Verhältnis der Vorschriften der Eingliederungshilfe zu denen des SGB 11 abweichend von der beschriebenen früheren Sichtweise zu bestimmen.
Tenor
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Dezember 2006 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Beklagte von den an die Klägerin erbrachten Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bzw. dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XIII) in Form der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung anteilige pflegerische Leistungen in Abzug bringen darf.
Die am ... 1994 geborene Klägerin ist aufgrund einer Chromosomenveränderung (Defekt am Chromosom Nr. 2), einer Mikrocephalie sowie wegen cerebraler Krampfanfälle mehrfach behindert; der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) hat der Klägerin ab Oktober 1996 die Pflegebedürftigkeit nach der Stufe II zuerkannt. Schon auf einen früheren Antrag bestätigte die Kinder- und Jugendmedizinerin Dr. V. durch ärztliches Zeugnis vom 16. März 2003, dass bei der Klägerin ein zusätzlicher Bedarf für eine Betreuungskraft während des Besuchs der K.-Schule - Schule für Geistigbehinderte - in L. als Hilfe zur angemessenen Schulbildung besteht. Der Beklagte hatte damals durch Bescheid vom 25. August 2003 die Kosten der zusätzlichen Betreuungskraft während der Unterrichtszeit übernommen.
Am 17. November 2004 stellten die Eltern für die Klägerin einen Antrag auf Weiterbewilligung der Eingliederungshilfe für Behinderte auch für das Schuljahr 2004/2005. Nach der Besprechung mit den Eltern der Klägerin forderte der Beklagte diese auf, für die Zeit, in der sich die Klägerin in der Schule befinde, Pflegesachleistungen statt Pflegegeld bei der Pflegekasse zu beantragen. Eine Kopie des Pflegegeldbescheids bat er zu übersenden. Für die Klägerin schaltete sich deren Bevollmächtigter ein und teilte mit, den Antrag auf Pflegesachleistungen gestellt zu haben. Am 15. März 2005 wollten die Beteiligten einen Gesamtplan/Hilfeplan nach § 58 SGB XII entwickeln. Im Ergebnis konnten sich die Teilnehmer des Gesprächs jedoch nicht auf eindeutige Ziele festlegen, das Hilfegespräch musste aus Terminsgründen der Eltern vorzeitig abgebrochen werden. Am 19. April 2005 legte die K.-Schule einen Entwicklungsbericht über die Klägerin vor. Danach bedurfte sie im pflegerischen Bereich weiterhin des Toilettentrainings und der Unterstützung bei den Mahlzeiten. Ebenso benötige ...