Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Berufung. Zurückverweisung. ordnungsgemäße Prozessvollmacht. Anforderungen an eine im Verwaltungsverfahren vorgelegte Vollmacht. Klageabweisung trotz ordnungsgemäßer Bevollmächtigung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine im Verwaltungsverfahren vorgelegte Vollmacht genügt den Anforderungen einer ordnungsgemäßen Prozessvollmacht gem § 73 Abs 6 SGG, wenn der Prozessbevollmächtigte sich im Klageverfahren ausdrücklich darauf beruft und sie eine Vertretung im Gerichtsverfahren mit abdeckt.
2. Zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht nach Abweisung der Klage als unzulässig trotz ordnungsgemäßer Bevollmächtigung.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 02.06.2022 aufgehoben und wird der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sozialgericht Freiburg zurückverwiesen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt anlässlich eines Überprüfungsverfahrens hinsichtlich eines Bescheides bezüglich des Grades der Behinderung (GdB) die Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Sozialgericht (SG) Freiburg.
Bei der im Jahr 1957 geborenen Klägerin wurde mit Bescheid vom 18.07.2014 ab 11.04.2014 ein GdB von 40 festgestellt, wobei folgende Funktionsbeeinträchtigungen zu Grunde gelegt wurden: Depression, seelische Störung; Bandscheibenschaden, degenerative Veränderungen der Wirbelsäule; Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen; Funktionsbehinderung des linken Kniegelenks.
Mit Schreiben vom 29.04.2021 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin unter anderem die Überprüfung des Bescheides vom 18.07.2014. Eine Begründung des Überprüfungsantrages erfolgte nicht. Mit dem Antrag legte der Prozessbevollmächtigte eine Vollmacht vom 21.04.2021 vor. Ausweislich ihres Wortlauts umfasste die Vollmacht „In Sachen S./. Landratsamt B1“ für „alle Instanzen“ gelten, sich „auf Neben- und Folgeverfahren aller Art“ erstrecken sowie die „Prozessführung einschl. der Befugnis zur Erhebung und Zurücknahme von Klagen“.
Die Beklagte lehnte den Überprüfungsantrag mit Bescheid vom 28.06.2021 ab. Der dagegen erhobene Widerspruch wurde nicht begründet und mit Widerspruchsbescheid vom 22.12.2021 zurückgewiesen. Auf dem in der Verwaltungsakte befindlichen Exemplar des Widerspruchsbescheides befindet sich folgender Absendevermerk: „Entwurf zum Postausgang am 22.12.21“ und - soweit leserlich - folgender Eingangsstempel: Landratsamt -Hochschwar Eing.: 29. Dez. 2021“.
Die Klägerin hat hiergegen am 26.01.2022 Klage zum SG Freiburg erhoben, wobei sie von ihrem Prozessbevollmächtigten vertreten worden ist. Der Widerspruchsbescheid sei dem Prozessbevollmächtigten am Montag, dem 27.12.2021, zugegangen. Es werde Bezug genommen auf die bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegte Vollmacht, die für alle Instanzen, sowie Neben- und Folgeverfahren gelte.
Mit Schreiben vom 28.01.2022, 28.02.2022 und 22.03.2022 ist der Prozessbevollmächtigte vom SG Freiburg zur Vorlage einer Vollmacht aufgefordert worden. Eine Reaktion hierauf ist nicht erfolgt. Mit gerichtlichem Schreiben vom 26.04.2022 ist darauf hingewiesen worden, dass der Prozessbevollmächtigte bisher eine schriftliche Prozessvollmacht nicht zu den Gerichtsakten gereicht habe. Er erhalte Gelegenheit, diese bis zum 25.05.2022 nachzureichen. Sollte eine schriftliche Prozessvollmacht innerhalb der Frist nicht nachgereicht werden, dürfte die Klage unzulässig sein. Auch hierauf hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin nicht reagiert.
Das SG Freiburg hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 02.06.2022 abgewiesen. Die Klage sei mangels Vorlage der mehrfach angeforderten schriftlichen Vollmacht unzulässig. Das Gericht müsse den Mangel der Vollmacht von Amts wegen berücksichtigen, da es sich bei dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht um einen Rechtsanwalt handele, sondern um einen Rentenberater. Die im Verwaltungsverfahren vorgelegte Vollmacht sei nicht ausreichend, denn sie sei „schriftlich“ zu erteilen und zu den „Gerichtsakten“ zu reichen. Hieraus werde deutlich, dass eine im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren erteilte Vollmacht nicht ausreiche, es sei denn, sie bevollmächtige ausdrücklich auch für ein nachfolgendes Gerichtsverfahren und der Prozessbevollmächtigte stelle eine Verklammerung her, indem er sich im Gerichtsverfahren darauf berufe oder darauf verweise (Verweis auf das Urteil des Landessozialgerichts [LSG] Baden-Württemberg vom 18.05.2010 - L 11 R 3594/09). Eine standardmäßige (Verwaltungs-)Vollmacht, die dem Wortlaut nach „für alle Instanzen“ und für „Neben- und Folgeverfahren aller Art“ gelten solle, sei hierfür nicht ausreichend. Denn hieraus ergebe sich nicht die Bevollmächtigung für das konkrete vorliegende Verfahren. Der Gerichtsbescheid ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin laut Empfangsbekenntnis am 07.06.2022 zugegangen.
Der Prozessbevollmächtigte hat am 07.07.2022 Berufung beim LSG Baden-Württemberg eingelegt. Die Klage sei zu Unrecht als unzulässig behandelt worden, na...