Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 1301. Harnblasenkrebs. aromatisches Amin o-Toluidin. azofarbstoffhaltiges Rissprüfmittel: inhalative und dermale Exposition. haftungsbegründende Kausalität. Theorie der wesentlichen Bedingung. hinreichende Wahrscheinlichkeit. Schweißer
Orientierungssatz
Zur Nichtanerkennung eines Harnblasenkarzinoms eines Schweißers und Qualitätskontrolleurs als Berufskrankheit gem BKV Anl 1 Nr 1301, der bei seiner Tätigkeit der Rissprüfung mit azofarbstoffhaltigem Prüfspray dem aromatischen Amin o-Toluidin ausgesetzt war, mangels Vorliegens der haftungsbegründenden Kausalität.
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 14. Dezember 2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung der Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV, nachfolgend BK 1301) streitig.
Der am 1956 geborene Kläger schloss nach Abbruch einer Lehre zum Kfz-Mechaniker (1972-1974) eine Ausbildung zum Werkzeugmacher im Jahr 1977 erfolgreich ab. Im Anschluss war er als Schweißer, Kurbelwellenschleifer, Schleifer, von 1979 bis 1990 als Montagearbeiter und Vorabeiter in der Wagenmontage versicherungspflichtig beschäftigt, von 1990 bis 1998 war er selbstständig tätig in Entwicklung und Vertrieb von Hard- und Software, von September 1998 bis 2013 als Schweißer und Qualitätskontrolleur in der Herstellung von Großkücheneinrichtungen versicherungspflichtig beschäftigt. Die Tätigkeit umfasste insbesondere das Schweißen von Fettbackgeräten, beim letzten Arbeitgeber von 2005 bis 2013 auch Montagetätigkeiten. Zur Rissprüfung von Schweißnähten verwendete der Kläger farbstoffhaltige Sprays, die zunächst auf das Werkstück aufgesprüht und dann mit einem Lappen weggewischt wurden und den Wirkstoff o-Toluidin enthielten.
Nach eigenen Angaben rauchte der Kläger ab dem 22. Lebensjahr, zu Beginn eine Schachtel innerhalb von zwei bis drei Tagen, zum Schluss eine Schachtel am Tag; 1999/2000 gab er das Rauchen auf.
Im September 2014 wurde bei dem Kläger ein papilläres Urothelkarzinom und ein nicht-invasives papilläres Urothelkarzinom diagnostiziert, nachdem zuvor Blut im Urin (Makrohämaturie) aufgefallen war. Am 10.10.2014 erfolgte eine transurethrale Tumorresektion; anlässlich einer Nachresektion am 13.11.2014 war kein Tumorgewebe mehr nachweisbar.
Der behandelnde Facharzt für Urologie, Andrologie und medikamentöse Tumortherapie C. zeigte der Beklagten im November 2014 wegen des Blasenkarzinoms den Verdacht auf das Vorliegen einer BK an.
Die Beklagte zog Befundberichte des Universitätsklinikums T. sowie des Urologen C. bei. Ferner führte sie Ermittlungen zur Chemikalienexposition des Klägers durch und zog Sicherheitsdatenblätter bei. In der Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition vom 03.12.2014 führte G. zusammenfassend aus, der Kläger sei durch die Verwendung des Rissprüfsprays von September 1998 bis August 2013 einem Azofarbstoff ausgesetzt gewesen; dieser basiere auf o-Toluidin, das in die Kategorie 1B eingestuft sei. Die Exposition sei sowohl inhalativ als auch hautresorptiv gewesen.
Der Facharzt für Arbeitsmedizin und Facharzt für Innere Medizin K. führte in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 31.01.2015 aus, das Erkrankungsbild des Klägers (Urothelkarzinom der Harnblase) falle grundsätzlich unter die BK 1301. Es habe eine inhalative und dermale Exposition gegenüber dem aromatischen Amin o-Toluidin bestanden. Allerdings habe der Kläger in der Vergangenheit geraucht. Wenn man davon ausgehe, dass der Kläger in den 22 Jahren, in denen er geraucht habe, pro Tag im Durchschnitt ca. 15 Zigaretten geraucht habe, ergebe sich für ihn eine kumulative Zigarettendosis von etwa 15 pack years. Aus epidemiologischen Untersuchungen sei bekannt, dass sich das Risiko eines Rauchers, an einem Urothelkarzinom zu erkranken, im Vergleich zu einem Nichtraucher bei einer kumulativen Zigarettendosis von 15 pack years verdopple. Das Zigarettenrauchen stelle in den westlichen Industrienationen die wichtigste Ursache für das Auftreten eines Urothelkarzinoms dar. Bei dem Kläger liege daher durch das Zigarettenrauchen ein erhebliches außerberufliches Risiko für das Auftreten eines Urothelkarzinoms vor, das die wesentliche Ursache für das bei ihm aufgetretene Harnblasenkarzinom darstelle. Die berufliche Exposition gegenüber dem gesichert humankanzerogenen aromatischen Amin o-Toluidin trete demgegenüber in den Hintergrund. Die bisherige berufliche Belastung sei nicht geeignet, ein Harnblasenkarzinom zu verursachen.
Am 25.03.2015 nahm G. zur beruflichen Exposition ergänzend Stellung. Unter Hinweis auf den BK-Report 1/2009 „Aromatische Amine“ führte er aus, bis 1995 hätten viele Hersteller Rissprüfmittel hergestellt, die intensiv rotfärbende Azofarbstoffe enthielten; die meisten Hersteller von Rissprüfmitteln hät...