Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch eines Notfallsanitäters auf Versorgung mit einem aufzahlungspflichtigen Hörgerät aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Freiburger Sprachtest als geeignetes Mittel zur Bewertung der Güte eines Hörsystems. Zuständigkeit einer Krankenkasse für die Versorgung mit einem aufzahlungspflichtigen Hörgerät aufgrund der Regelung in § 14 SGB 9 2018 bei originärer Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers. Beschwer eines beigeladenen Rentenversicherungsträgers
Leitsatz (amtlich)
Zum Anspruch eines Notfallsanitäters gegen den Rentenversicherungsträger auf Versorgung mit einem aufzahlungspflichtigen Hörgerät.
Orientierungssatz
1. Zur Beschwer eines beigeladenen Rentenversicherungsträgers in einem Verfahren, in dem sich die Leistungspflicht einer beklagten Krankenkasse für die Versorgung mit einem Hörgerät nicht aus dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung ergibt, sondern vielmehr aufgrund der Zuständigkeitsregelung des § 14 SGB 9 2018 bei originärer Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers aus dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung.
2. Der Freiburger Sprachtest stellt ein geeignetes Mittel dar, um die Güte eines Hörsystems bewerten zu können (vgl LSG Stuttgart vom 30.11.2021 - L 11 R 3540/20 sowie vom 22.1.2020 - L 5 KR 241/18 = juris RdNr 42 und LSG Berlin-Potsdam vom 13.7.2017 - L 9 KR 60/17 B ER = juris RdNr 8).
Tenor
Die Berufung der Beigeladenen gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 23.03.2022 wird zurückgewiesen. Die Anschlussberufung der Beklagten wird als unzulässig verworfen.
Die Beigeladene trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Versorgung des Klägers mit einem Hörgerät streitig.
Der 1972 geborene Kläger ist bei der beklagten Krankenkasse krankenversichert und bei dem beigeladenen Rentenversicherungsträger rentenversichert. Er ist als Notfallsanitäter in der Notfallrettung bzw im Rettungsdienst beim D Kreisverband M in Vollzeit versicherungspflichtig beschäftigt.
Der S verordnete dem Kläger am 24.08.2020 wegen Innenohrschwerhörigkeit rechts eine Hörhilfe rechts (Erstverordnung). Ausweislich des Anpass- und Abschlussberichts vom 10.09.2020 passte der B GbR) das aufzahlungspflichtige Hörgerät S1 Insio 7Nx CIC (Hilfsmittel-Positionsnummer 13.20.12.8245: In-dem-Ohr≪I≫-Hörgerät mit einer maximalen Verstärkung bis 1,6 KHz: 66 dB, mit einem maximalen Ausgangsschalldruckpegel von 134 dB, einer programmierbaren digitalen Signalverarbeitung, 20 unabhängigen Kanälen, Störschallunterdrückung, Rückkoppelungsunterdrückung, 6 Hörprogrammen, 6 Hörsituationen im Mikrofonmodus, einer Ausgangsschalldruckbegrenzung, vorhandene Frequenzmodifikation) rechts an. Ohne Hörsystem ergab die Freifeldmessung mittels Freiburger Sprachtest zum Hörgewinn bei der Hörgeräteversorgung bei einem Nutzschall von 65 dB ein Hörvermögen von 65 % und bei einem Nutzschall von 65 dB mit Störschall von 60 dB von 30 %, mit dem gewünschten Hörsystem von 100 % und bei Nutzschall von 65 dB mit Störschall von 60 dB von 55 %. Die vergleichende Freifeldmessung mit dem aufzahlungsfreien Hörgerät Vitus BTE-micro (Hilfsmittel-Positionsnummer 13.20.22.0008: Hinter-dem-Ohr≪HdO≫-Hörgerät mit einer maximalen Verstärkung bei 1,6 KHz: 67 dB, maximalem Ausgangsschalldruckpegel 134 dB, programmierbarer digitaler Signalverarbeitung, 6 unabhängigen Kanälen, Störschallunterdrückung, Rückkoppelungsunterdrückung, 5 Hörprogrammen, 2 Situationen im Mikrofonmodus, Ausgangsschalldruckbegrenzung, fest einstellbarer Richtcharakteristik und adaptiver Richtcharakteristik, Frequenzmodifikation, Telefonspule) ergab bei einem Nutzschall von 65 dB ein Hörvermögen von 100 % sowie bei einem Nutzschall von 65 dB und Störschall von 60 dB von 55 %.
Am 15.09.2020 beantragte der Kläger bei der Beigeladenen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (berufliche Rehabilitation). Er sei Notfallsanitäter im Rettungsdienst und auf eine Hörhilfe rechts angewiesen. Er leide an einem Hörsturz mit Hörminderung des rechten Ohres. Er sei als Rettungsassistent auf den Rettungswagen tätig. Er arbeite auf der Straße, in Wohnungen, auf Baustellen und in öffentlichen Gebäuden. Er habe Notfallpatienten zu versorgen, zB bei Verkehrsunfällen, Betriebsunfällen, internistischen Notfällen. Seine Arbeit sei mit Lärm und Geräuschen, insbesondere Störgeräuschen verbunden. Die Entfernung zu Gesprächspartnern sei mal kurz und mal weit. Die Benutzung von Telefonen sei erforderlich. Er habe medizinische Geräte wie EKG und Absauggeräte zu bedienen. Er trage einen Infektionsschutzanzug, einen Helm, eine Schutzbrille, einen Mundschutz, eine Sicherheitsjacke, Handschuhe und Sicherheitsstiefel. Er sei wechselnden Geräuschkulissen mit Autobahn, Martinshorn, schreienden Patienten etc ausgesetzt. Dabei sei die Kommunikation mit anderen notwendig. Das Martinshorn komme zum Einsatz, zeitgleich müsse er den Funk hören. Auch arbeite er mit dem Stethoskop, müsse Patientengespräche in lauter Umgebung ode...