Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. Notwendigkeit einer stationären Krankenhausbehandlung. Erforderlichkeit einer Abrechnungsprüfung gemäß § 275 Abs 1 SGB 5. Auswirkung einer unterbliebenen Abrechnungsprüfung auf die Beweislast. Der Senat hat die Revision zugelassen
Leitsatz (amtlich)
Der Grundsatz, dass die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung im Rechtsstreit von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit vollständig zu überprüfen ist, gilt auch dann, wenn die Krankenkasse ihre Leistungspflicht nachträglich für einen zurückliegenden Zeitraum bestreitet. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Krankenkasse die Prüfungsvoraussetzungen gemäß § 275 Abs 1 SGB V in der bis 11.5.2019 geltenden Fassung (aF) beachtet. Nur im Rahmen einer (fristgerecht eingeleiteten) Abrechnungsprüfung trägt der Krankenhausträger die objektive Beweislast für die Erforderlichkeit einer Krankenhausbehandlung. Führt die Krankenkasse keine Abrechnungsprüfung durch oder leitet sie eine solche Prüfung erst nach Ablauf der in § 275 Abs 1c S 2 SGB V in der vom 1.1.2016 bis 11.5.2019 geltenden Fassung (bzw jetzt: § 275c Abs 1 S 1 SGB V) geregelten Frist ein, kann sie die Erforderlichkeit einer stationären Krankenhausbehandlung nicht mehr bestreiten.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 23.07.2019 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 7.203,85 € festgesetzt.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten im Zusammenhang mit der Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung über die Berechtigung der Beklagten, die bereits gegenüber dem Versicherten die beabsichtigte Schlauchmagen-Operation bei Adipositas-Erkrankung nach Einholung von Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherungen (MDK) mangels Leistungsanspruchs abgelehnt hatte, gegenüber der Klägerin die Vergütung der gleichwohl erfolgten stationären Behandlung und Operation ohne Einholung eines MDK-Gutachtens zu verweigern.
Die Klägerin ist ein selbständiges Unternehmen der L. S. in der Rechtsform einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts gemäß § 102a Gemeindeordnung Baden-Württemberg. Bis zum 31.12.2018 handelte es sich bei dem Klinikum der L. S. gKAöR um einen Eigenbetrieb der L. S.. Das Klinikum, in dem die ehemaligen städtischen Krankenhäuser K.-Hospital, O.-Hospital, B.-Hospital und das Krankenhaus B. C. zusammengefasst wurden, war auch im Jahr 2018 in den Krankenhausplan des Landes Baden-Württemberg aufgenommen. Die Beklagte ist eine gesetzliche Krankenversicherung.
Der bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte E. L. (geb 1962; Body-Maß-Index ≫ 55 kg/m2) beantragte am 20.10.2017 bei der Beklagten die Kostenübernahme für eine Magenverkleinerung. Die Beklagte holte das sozialmedizinische Gutachten des MDK vom 07.12.2017 ein. Der MDK führte aus, eine primäre Operationsindikation könne aus den vorliegenden Unterlagen nicht nachvollzogen werden. Es bestehe eine klare medizinische Notwendigkeit zur Gewichtsreduktion. Ein „Ultima Ratio“ für die gewünschte Operation könne nicht bestätigt werden, da eine multimodale konservative Therapie zur Behandlung der Adipositas in einem relevanten Zeitraum von 6 bis 12 Monaten nicht dokumentierterweise konsequent durchgeführt worden sei. Mit Bescheid vom 12.12.2017 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Im Rahmen des Widerspruchsverfahren erstattete der MDK am 28.05.2018 ein weiteres Gutachten, das zu keinem anderen Ergebnis führte. Mit Widerspruchsbescheid vom 02.07.2018 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
In der Zeit vom 13.08.2018 bis zum 18.08.2018 wurde der Versicherte im Klinikum der Klägerin stationär behandelt und die Schlauchmagen-Operation durchgeführt. Für die stationäre Behandlung stellte die Klägerin der Beklagten unter dem 22.08.2018 den Betrag von 7.203,85 € unter Zugrundelegung der Diagnosis Related Group K04Z (Große Eingriffe bei Adipositas) in Rechnung. Die Rechnung wurde von der Beklagten jedoch nicht beglichen. Eine förmliche Abrechnungsprüfung (Prüfverfahren) wurde von der Beklagten nicht eingeleitet.
Am 06.12.2018 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Die in der S3- Leitlinie „Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen“ (2018) als auch die in der S3-Leitlinie „Prävention und Therapie der Adipositas“ (2014) genannten Kriterien seien bei dem Versicherten erfüllt gewesen. Da die Beklagte kein Prüfverfahren nach § 275 Abs 1c SGB V in der vom 01.01.2016 bis 31.12.2019 geltenden Fassung (aF) eingeleitet habe, unterliege die Patientenakte einem Beweisverwertungsverbot. Dies gelte ebenfalls für von der Beklagten einzuholende MDK-Stellungnahme. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts berühre eine (bestandskräftige) Ablehnung, welche von einer Krankenkasse gegenüber einem Versicher...