Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Erwachsener mit ADHS-Leiden. kein Anspruch auf methylphenidathaltige Arzneimittel
Orientierungssatz
Ein an ADHS leidender Erwachsener hat keinen Anspruch auf Kostenübernahme bzw Kostenerstattung von methylphenidathaltigen Arzneimitteln (z.B. Concerta retard 36 mg) gegenüber seiner Krankenkasse. Dies gilt auch für den Bereich der zulassungsüberschreitenden Verordnung.
Nachgehend
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 27. Oktober 2006 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist ob der Kläger Anspruch auf Versorgung mit methylphenidathaltigen Medikamenten (wie z. B. Concerta retard 36 mg) hat.
Dem ... 1985 geborenen Kläger wurde erstmals im Oktober 2004 ein methylphenidathaltiges Arzneimittel, hier zunächst Ritalin, verschrieben. Im Februar 2005 beantragte er die Übernahme der Kosten dieses Medikaments. Er sei seit Kindertagen hyperaktiv gewesen, seit einem halben Jahr sei diese Hyperaktivität im Erwachsenenalter wieder zum Vorschein gekommen. Das Krankheitsbild nenne sich ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktiv-Syndrom). Er erhalte deswegen die Medikamente Ritalin und Concerta, die ihm helfen. Er könne nicht nachvollziehen, warum er die Medikamente nur deshalb nicht erhalte, weil er über 18 Jahre alt sei. Die Krankheit habe mit dem Alter nichts zu tun. Beigefügt war dem Antrag der Arztbrief von Dr. S, Zentrum für Nervenheilkunde Stadtmitte-M, in dem die Diagnosen Aufmerksamkeitsdefizit bei hyperaktivem Syndrom mit hyperkinetischer Störung des Sozialverhaltens und Störung der Impulskontrolle sowie minimale cerebrale Dysfunktion mitgeteilt wurden. Die Verordnung mit Ritalin hole den Kläger runter, wenn er zur Aggressivität neige, er könne dann auch lesen oder sich in ein anderes Thema versenken. Darüber hinaus erhalte er Antidepressiva und spezielle Mittel wegen unruhiger Beine. In einem Fragebogen der Beklagten teilte derselbe Arzt am 10.03.2005 mit, unter der Medikation mit Concerta sei eine deutliche Verhaltensmodifikation eingetreten. Der Kläger sei ruhig, freundlich, belastbar und konzentriert ohne Hyperaktivitäten, Alkohol oder Drogen. Antidepressiva und Psychotherapie allein seien ohne ausreichenden Effekt. Bezüglich der Medikamente Concerta und Medikinet retard seien Zulassungsstudien angelaufen. Es bestehe insoweit Konsens in den einschlägigen medizinischen Fachkreisen.
Die Beklagte holte das Gutachten von Dr. B, Medizinischer Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg - MDK -, vom 29.04.2005 ein. Concerta sei ein zugelassenes und verkehrsfähiges Arzneimittel, allerdings nicht für Erwachsene. Es sei auch im Ausland zugelassen, die üblichen weltweiten Zulassungen bezögen sich aber immer hinsichtlich der ADS nur auf Kinder und allein bei Narkolepsie auf Erwachsene. Methylphenidat sei ein Psychostimulans, dessen Verschreibung der Betäubungsmittelverordnung unterliege. Darüber hinaus verbiete die Arzneimittelrichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses - GBA - die Anwendung von Methylphenidat bereits bei postpubertären Kindern. Ein Off-Label-Use könne nicht empfohlen werden. Die Krankheit sei zwar sehr belastend, jedoch nicht akut behandlungsbedürftig. Bei Erwachsenen komme in erster Linie ein psychotherapeutischer Ansatz in Frage, daneben auch die Medikation des entsprechenden, parallel bestehenden oder zugrunde liegenden psychischen Leidens. Zulassungsrelevante Studien für Erwachsene ließen sich nicht feststellen. Eine Zulassung für Erwachsene liege durch die entsprechenden europäischen Behörden nicht vor. Hinzu komme, dass noch nicht einmal ein Zulassungsantrag gestellt sei, auch wenn ein sehr weitgehender Konsens herrsche, diese Substanzen unter bestimmten Voraussetzungen einzusetzen.
Mit Bescheid vom 14.06.2005 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag ab. Grundsätzlich dürften Medikamente nur verordnet und von den Kassen übernommen werden, die zulassungsbezogen verordnet würden. Nur ausnahmsweise könnten Arzneimittel außerhalb der zugelassenen Indikation zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden. Die dafür vom Bundessozialgericht (BSG) aufgestellten Voraussetzungen seien hier aber nicht erfüllt. Eine nachhaltig die Lebensqualität beeinträchtigende Erkrankung liege nicht vor, die Erkrankung könne zudem allgemein mit Psychotherapie behandelt werden. Die Studien-Datenlage sei noch nicht ausreichend, um eine Zulassung zu bewirken. Deswegen sei die Kostenübernahme des beantragten Medikamentes nicht möglich.
Den hiergegen erhobenen Widerspruch, der nicht weiter begründet wurde, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.11.2005 zurück.
Hiergegen erhob der Kläger am 22.12.2005 bei dem Sozialgericht Mannheim (SG) Klage. Er brachte zur Begründung vor, bereits in der Grundschule habe er psychiatrisch-psychologische Hilfe benötigt, weil er sich aggressiv "gegen alle" verhalten h...