rechtskräftig

 

Entscheidungsstichwort (Thema)

Prozessleitende Verfügung. Nichtterminierung. Statthaftigkeit der Beschwerde. Außerordentliche Beschwerde. Rechtsstaatsprinzip. Recht auf effektiven Rechtsschutz

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Die bloße Untätigkeit des Sozialgerichts in Form der Nichtterminierung eines Rechtsstreits kann grundsätzlich nicht Gegenstand einer Beschwerde sein. § 216 ZPO findet wegen der abweichenden Gestaltung des sozialgerichtlichen zum zivilprozessualen Verfahren keine Anwendung.

2. Eine außerordentliche Untätigkeitsbeschwerde im Fall der Nichtterminierung ist nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer darlegen und glaubhaft machen kann, dass eine Untätigkeit des Gerichts auf einem willkürlichen Verhalten des Richters beruht oder ein weiteres Zuwarten auf eine Terminierung für ihn zu einer vollständigen oder zumindest teilweisen Entwertung des Rechtsschutzes führen würde. An die Darlegung und Glaubhaftmachung der Unzumutbarkeit weiteren Zuwartens sind vergleichbare Anforderungen zu stellen wie in den Fällen des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG für das eilige Regelungsbedürfnis.

 

Normenkette

SGG §§ 172, 86b Abs. 2 S. 2; ZPO § 216; GG Art. 19 Abs. 4

 

Verfahrensgang

SG Berlin (Aktenzeichen S 36 KR 2236/03*89)

 

Tenor

Die Beschwerde der Klägerin gegen die Unterlassung der Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung wird verworfen. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

 

Gründe

Die Beschwerde gegen die Mitteilung der Vorsitzenden der 89. Kammer des Sozialgerichts Berlin, in dem vorliegenden Rechtsstreit derzeit keinen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, wird als unzulässig verworfen.

Nach § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) findet die Beschwerde gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist. Eine förmliche Entscheidung über die Nichtterminierung des Rechtsstreits oder dessen Aussetzung hat das Sozialgericht im vorliegenden Fall jedoch nicht getroffen. Die Vorsitzende der Kammer hat der Klägerin auf ihren Antrag vom 29. November 2004, einen Termin zur mündlichen Verhandlung anzuberaumen, mit Schreiben vom 7. Dezember 2004 lediglich mitgeteilt, dass auf Grund der Vielzahl der vor der Kammer anhängigen Verfahren derzeit nicht gesagt werden könne, wann Termin zur mündlichen Verhandlung anberaumt werde. Ein solches Schreiben stellt keine beschwerdefähige Entscheidung im Sinne des § 172 Abs. 1 SGG dar, sondern enthält vielmehr eine formlose verfahrensbezogene Mitteilung an die Klägerin, die ebenso wie sonstige prozessleitende Verfügungen des Gerichts gemäß § 172 Abs. 2 SGG nicht beschwerdefähig ist. Soweit sich die Klägerin insoweit auf abweichende Judikatur der Zivilgerichte beruft, kann sie hiermit keinen Erfolg haben, weil die diese u.a. zu Grunde liegende Vorschrift des § 216 Abs. 2 Zivilprozessordnung wegen der abweichenden Gestaltung des sozialgerichtlichen zum zivilprozessualen Verfahren keine Anwendung finden kann (vgl. zum Vorstehenden mit Blick auf das verwaltungsgerichtliche Verfahren VGH Mannheim NVwZ 2003, 1541 ff m.w.N.).

Der Wortlaut des § 172 Abs. 1 SGG spricht auch dagegen, die Statthaftigkeit der Beschwerde daraus herzuleiten, dass die Vorsitzende der 89. Kammer in dem Schreiben vom 7. Dezember 2004 die von der Klägerin verlangte Anberaumung eines Termins zur mündlichen Verhandlung (konkludent) abgelehnt, jedenfalls aber im Hinblick auf einen für die Klägerin unzumutbar späten Termin bei einer schon jetzt absehbaren Verfahrensdauer von ungefähr drei Jahren dieser Rechtsschutz verweigert habe. Denn die Möglichkeit, trotz Nichtvorliegens einer förmlichen Entscheidung Beschwerde nach § 172 Abs. 1 SGG zu erheben, ist nach geltendem Prozessrecht nicht eröffnet; die Statthaftigkeit einer Beschwerde setzt grundsätzlich das Vorliegen einer förmlichen Entscheidung voraus, wie sich insbesondere aus § 172 Abs. 2 SGG entnehmen lässt. Daraus folgt, dass eine bloße Untätigkeit des Sozialgerichts in Form der Nichtterminierung eines Rechtsstreits nach dem Willen des Gesetzgebers grundsätzlich nicht Gegenstand einer Beschwerde sein kann (in diesem Sinne VGH Mannheim a.a.O. sowie NVwZ 2003, 885; BVerwG NVwZ 2003, 869; OVG Bremen NJW 1984, 992; VGH Kassel DVBl 1999, 114; OVG Münster NVwZ-RR 1998, 340; OVG Frankfurt/Oder DVBl 2001, 314; LSG Nordrhein-Westfalen Breithaupt 1996, 787ff; BFHE 88,108; für PKH-Antrag auch BFHE 141, 494).

Ob mit Blick auf das sich aus Art. 19 Abs. 4 GG ergebende subjektive Recht der Klägerin auf angemessenen Rechtsschutz oder das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 2 Abs.1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende Recht, über strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Frist eine Entscheidung zu erhalten (vgl. BVerfG NJW 1997, 2811f.), das Rechtsschutzbegehren der Klägerin als außerordentliche Beschwerde statthaft machen würde (hierfür BFHE 154, 209; LSG Hamburg E-LS...

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