Entscheidungsstichwort (Thema)
Ausschluss einer Rückforderung von Sozialhilfeleistungen bei Anrechnung sog. Kick-Back-Zahlungen des Pflegedienstes als Einkommen
Orientierungssatz
1. Die Vollziehungsanordnung nach § 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG bedarf einer besonderen Begründung. Hierzu ist eine erkennbare sorgfältige Abwägung zwischen den Interessen des Betroffenen und dem öffentlichen Interesse des Leistungsträgers erforderlich.
2. Hat der Grundsicherungsträger sog. Kick-Back-Zahlungen eines Pflegedienstes als Einkommen des Sozialhilfeempfängers nach § 82 SGB 12 angerechnet, so ist der hierzu ergangene Bescheid rechtswidrig.
3. Kick-Back-Zahlungen eines Pflegedienstes an den Hilfebedürftigen finden als Gewinne aus begangenen Straftaten keine Berücksichtigung als Einkommen nach § 82 SGB 12, weil sie mit einer Rückzahlungspflicht aus § 823 Abs. 2 BGB belastet sind und deshalb nicht zur freien anderweitigen Verwendung zur Verfügung stehen.
4. Damit liegen insoweit die Voraussetzungen eines Rückforderungsanspruchs des Sozialhilfeträgers nach § 45 Abs. 1, Abs. 2 S. 3 Nr. 2, Nr. 3 SGB 10 nicht vor.
Normenkette
SGG § 86a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 5, § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2, Abs. 2, § 73a Abs. 1 S. 1, § 193; SGB XII § 82; BGB § 823 Abs. 2; SGB X § 45 Abs. 1, 2 S. 3 Nrn. 2-3, § 48 Abs. 1 S. 2, § 24 Abs. 1; SGB I § 60 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 65 Abs. 3, § 45 Abs. 2 S. 3 Nr. 2; BSHG § 76; DV § 1; ZPO § 114 Abs. 1 S. 1, § 127 Abs. 4
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 7. November 2016 geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 15. August 2016 wird angeordnet.
Der Antragstellerin wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt J W, W, B, beigeordnet.
Im Übrigen wird die Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zurückgewiesen.
Die außergerichtlichen Kosten für das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes trägt der Antragsgegner für beide Rechtszüge zu neun Zehnteln. Im Übrigen sind keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Gründe
Streitig ist die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Klage gegen eine Entscheidung über (Teil-)Aufhebungen von Leistungsgewährungen und Rückforderungen von Erstattungsbeträgen sowie Regelungen zur Aufrechnung mit laufenden Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII -; weiterhin ist die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzlich geführte Verfahren streitig.
Der 1935 geborenen Antragstellerin wurden von dem Antragsgegner jedenfalls seit 2011 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel SGB XII gewährt. Die Antragstellerin erhielt seit Juni 2011 Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII, wobei in der Zeit von März 2013 bis über den Monat Februar 2015 hinaus die ambulante Pflege durch den Pflegedienst “M H S GmbH„ geleistet wurde. Für den Zeitraum ab März 2013 erfolgten die Bewilligungen der Leistungen der Grundsicherung im Alter nach dem SGB XII nach dem vorliegenden Akteninhalt durch folgende (Änderungs-)Bescheide des Antragsgegners: Bescheide vom 4. Dezember 2012, vom 6. August 2013, vom 27. Mai 2014, vom 11. Juni 2014, vom 1. Dezember 2014 sowie vom 27. Januar 2015
Gegen die Geschäftsführer des Pflegedienstes führt die Staatsanwaltschaft (StA) Berlin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Betruges; auch gegen die Antragstellerin läuft ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Betrugs (StA Berlin). Unter dem 30. Oktober 2015 wurde ein Schlussbericht der ermittelnden Polizeidienststelle verfasst, mit dem unter anderem ausgeführt wurde, dass sichergestellte Unterlagen den Schluss zuließen, dass die Antragstellerin im November 2013 an weniger Tagen als von den Pflegedienst abgerechnet gepflegt worden sei und die Antragstellerin so genannte Kick-Back-Zahlungen in Höhe von monatlich 200,00 € des Pflegedienstes erhalten habe. Die Angaben bezogen sich auf die Monate November 2013 und August 2014. Die Kick-Back-Zahlungen ergäben sich aus den bei dem Pflegedienst sichergestellten Kassenbüchern für die Zeit vom 12. April 2011 bis zum 11. März 2015. Die in diesem Zeitraum an die Antragstellerin geleistete Summe belaufe sich auf 4.200,00 €.
Nach Bekanntwerden dieser Umstände bei dem Antragsgegner hörte dieser die Antragstellerin mit Schreiben vom 11. Februar 2016 zu einer Aufhebung der gewährten Leistungen der Grundsicherung für die Zeit “spätestens ab März 2013 bis einschließlich Februar 2015„ auf der Grundlage des § 48 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - SGB X - und Geltendmachung einer Erstattungsforderung in Höhe von 4.200,00 € an.
Mit Bescheid vom 15. August 2016 hob der Antragsgegner alle in einer Anlage zum Bescheid genannten Bescheide für einen Leistungsbezug in der Zeit von März 2013 bis Februar 2015 insoweit auf, als mit diesen Einkünfte von monatlich durchschnittlich 200,00 € nicht angerechnet worden seien. Die in Höhe von insgesamt 4.200,00 € zu viel gezahlten Leistu...