Entscheidungsstichwort (Thema)
Überprüfung der Anpassung eines Festbetrags für ein Arzneimittel auf deren Rechtmäßigkeit
Orientierungssatz
1. Die Hersteller und Vertriebsfirmen von Arzneimitteln können gerichtlich geltend machen, dass die Festsetzung eines Festbetrags gegen ihre Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 GG verstößt. Das aus Art. 3 Abs. 1 GG hergeleitete Willkürverbot verlangt für dirigistische Maßnahmen der öffentlichen Hand das Vorliegen hinreichender sachlicher Gründe.
2. Die pharmazeutischen Unternehmer können eine Verletzung der in § 35 Abs. 2 und 3 SGB 5 verankerten Anhörungsrechte gerichtlich geltend machen.
3. Die Anpassung eines Festbetrags setzt Erkenntnisse über die Zahl der Verordnungen und die Preise der auf dem Markt befindlichen Packungen voraus. § 35 Abs. 5 S. 3 SGB 5 verlangt, dass eine Überprüfung der Festbeträge mindestens einmal im Jahr erfolgen muss.
4. Auch nach Anpassung des Festbetrags muss nach § 35 Abs. 6 SGB 5 eine hinreichende Versorgung mit zuzahlungsfreien Arzneimitteln sichergestellt sein.
5. Von einer hinreichenden Versorgungssicherheit ist nach § 35 Abs. 5 S. 5 SGB 5 auszugehen, wenn jeweils 20 % von Packungen oder Verordnungen von Arzneimitteln zum Festbetrag erhältlich sind.
6. Sind nach erfolgter Anpassung des Festbetrags weiter Arzneimittel auf dem Markt, die wenigstens 30 % unter dem neuen Festbetrag liegen, so gilt eine hinreichende Versorgungssicherheit als gegeben.
Tenor
Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der erhobenen Anfechtungsklage wird abgelehnt.
Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Der Streitwert wird auf 700.000,- € festgesetzt.
Gründe
I.
Streitig ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung für eine gegen die Anpassung eines Festbetrags erhobene Anfechtungsklage.
Die Antragstellerinnen sind pharmazeutische Unternehmer, die (u.a.) Arzneimittel mit dem Wirkstoff “Epoetin alfa„ unter der Bezeichnung “Epoetin alfa Hexal„ und “Binocrit„ auf den Markt bringen. Diese Arzneimittel gehören zur Gruppe der Antianämika, für die erstmals am 15. Februar 2005 eine Festbetragsgruppe der Stufe 2 gebildet wurde. Die Festbetragsgruppenbildung wurde durch Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 15. Dezember 2011 (Bundesanzeiger v. 3. Februar 2012, S. 469) geändert.
Mit Schreiben vom 13. Februar 2012 unterrichtete der Antragsgegner die fachlich betroffenen Vereinigungen, Kommissionen und Verbände darüber, dass er entsprechend seinem gesetzlichen Auftrag den Festbetragsmarkt überprüft habe und beabsichtige, mit Wirkung ab 1. Juli 2012 in 14 Festbetragsgruppen, darunter auch die der “Antianämika, andere, Gruppe 1„, die Festbeträge auf Grund von Marktdynamik abzusenken. Beigefügt waren Vorschläge für die Höhe der neu festzusetzenden Beträge. Der Antragsgegner forderte zur Stellungnahme bis spätestens 12. März 2012 auf. Er wies darauf hin, dass Datengrundlage für die Ermittlung der Festbetragsvorschläge der Preis- und Produktstand vom 1. Januar 2012 und die Verordnungsdaten nach § 84 Abs. 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - SGB V - aus dem Jahre 2010 seien. Die Einleitung des Stellungnahmeverfahrens wurde zusätzlich im Bundesanzeiger Nr. 25 vom 14. Februar 2012 veröffentlicht. Die Antragstellerin zu 1) sprach sich im Rahmen der Anhörung durch Schreiben vom 7. März 2012 gegen die beabsichtige Anpassung der Festbeträge für “Antianämika, andere, Gruppe 1„ aus.
Mit Schreiben vom 26. März 2012 informierte die Firma R P AG die Fachöffentlichkeit darüber, dass ihr Arzneimittel Mircera, das ebenfalls zur Gruppe der Antanämika gehört, demnächst in allen Stärken nicht mehr verfügbar sein werde. Aus der Sicht des Antragsgegners war die Verfügbarkeit von Mircera indessen ein wesentlicher Umstand für die geplante Absenkung des Festbetrages für die Gruppe “Antanämika, andere Gruppe 1„. Entsprechend stellte der Antragsgegner durch Beschluss vom 10. Mai 2012 die Beschlussfassung zur Anpassung des Festbetrags in der Festbetragsgruppe “Antianämika, andere, Gruppe 1„ solange zurück, “bis die Lieferfähigkeit der Fa. Roche wieder hergestellt ist„.
Am 1. Oktober 2012 teilte die Firma R P AG dem Antragsgegner mit, dass die Lieferfähigkeit für Mircera wieder uneingeschränkt hergestellt sei. Die Fachöffentlichkeit sei darüber bereits mit Schreiben vom 31. August 2012 informiert worden. Daraufhin beschloss der Antragsgegner am 8. Oktober 2012 auf der Grundlage der ursprünglich für eine Beschlussfassung im Juli 2012 aufbereiteten Daten am 8. Oktober 2012 eine Absenkung der Festbeträge für die Festbetragsgruppe “Antianämika, andere, Gruppe 1„, die am 17. Oktober 2012 im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde und am 1. Dezember 2012 in Kraft trat. Der Beschluss wurde in Kenntnis des Umstandes gefasst, dass die der Beschlussfassung zugrunde liegenden Daten auf den Verordnungen für das Jahr 2010 beruhten und mittlerweile bereits die Verordnungsdaten für das Jahr 2011 vorlagen.
Gegen den Anpassungsbeschluss haben die Antragstellerinnen am 19. November 2012 (Montag) Anfech...