Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Beschwerde. PKH-Ablehnung. Nichtanwendbarkeit des § 127 Abs 2 S 2 ZPO
Leitsatz (amtlich)
Die Beschwerde gegen die Ablehnung von PKH bleibt auch in Ansehung der Änderung des § 172 Abs 3 Nr 1 SGG zum 11.8.2010 durch das "Dritte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze" vom 5.8.2010 (Art 12 S 1 dieses Gesetzes, BGBl I 2010, 1127) zulässig, auch wenn für das Hauptsacheverfahren die Berufung ausgeschlossen ist; die Sonderregelung des § 127 Abs 2 S 2 ZPO ist im sozialgerichtlichen Verfahren weiterhin nicht anwendbar (Fortführung von LSG Berlin-Potsdam vom 31.3.2010 - L 19 AS 829/09 B PKH - juris.de).
Tenor
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 14. Juli 2010 geändert.
Der Klägerin wird für das Klageverfahren vor dem Sozialgericht Berlin ab dem 02. Juli 2010 Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt S, O Straße, B, beigeordnet; im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
Die Beschwerde, über die der Senat ohne Hinzuziehung ehrenamtlicher Richter entscheiden konnte (§§ 12 Abs. 1 Satz 2, 176 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫), ist zulässig und in der Sache begründet.
Der Zulässigkeit steht insbesondere nicht entgegen, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes von nur 375,00 € (Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 13. Februar 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juni 2009 über 375,00 € für den Zeitraum vom 01. Juni bis 31. August 2008) den Betrag von mehr als 750,00 €, bei dem eine Berufung nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG grundsätzlich statthaft ist, nicht erreicht. Auch im diesem Fall bleibt die Beschwerde nach § 172 Abs. 1 SGG zulässig (Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Auflage 2008, § 172 Randnummer ≪Rn≫ 3, § 73a Rn 12b). Nach dieser Vorschrift findet gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte die Beschwerde an das Landessozialgericht ≪LSG≫ statt, soweit nicht in diesem Gesetz (dem SGG) anderes bestimmt ist. Eine abweichende Bestimmung ist insbesondere nicht nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG getroffen, auch wenn dort die entsprechende Geltung der Vorschriften der Zivilprozessordnung ≪ZPO≫ über die Prozesskostenhilfe ≪PKH≫ vorgesehen ist. Zwar kennt die ZPO in § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO für den Fall der Ablehnung von PKH, die - wie hier - nicht allein auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Klägerin gestützt wird, einen Ausschluss der Beschwerde, wenn der Streitwert in der Hauptsache den in § 511 ZPO genannten Betrag von 600,00 € nicht übersteigt. Die genannte Sonderregelung des § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO ist im sozialgerichtlichen Verfahren allerdings nicht anwendbar (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 10. Juni 2010 - L 5 AS 610/10 B PKH -; LSG Baden-Württemberg vom 06. Mai 2010 - L 7 AS 5876/09 B -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. März 2010 - L 25 B 1612/08 AS PKH -; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 06. Januar 2010 - L 2 R 527/09 B -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Juli 2009 - L 28 B 1379/08 AS PKH -; entgegen LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27. September 2010 - L 20 AS 1602/10 B PKH -; Bayrisches LSG, Beschluss vom 30. März 2010 - L 9 B 77/06 AL PKH -; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. März 2010 - L 34 AS 2015/09 B PKH - alle juris.de). Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus den Besonderheiten des sozialgerichtlichen Verfahrens (vgl. etwa § 511 Abs. 4 ZPO im Vergleich zu § 145 Abs 4 SGG) und entspricht der bisherigen Rechtsprechung des Senats (Beschlüsse vom 31. März 2010 - L 19 AS 829/09 B PKH (zu § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG) - juris.de - und vom 17. August 2010 - L 19 AS 1172/10 B PKH -), auf deren Begründungen sich der Senat weiterhin bezieht.
Der Senat hält an seiner Auffassung auch in Ansehung der Änderung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG zum 11. August 2010 durch das “Dritte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze„ vom 05. August 2010 (Art 12 Satz 1 dieses Gesetzes - Bundesgesetzblatt ≪BGBl≫ I, 1127) fest. In Kenntnis der streitigen obergerichtlichen Auslegung des § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG hat der Gesetzgeber mit dieser Änderung nur eine Beschränkung der PKH- Beschwerde im einstweiligen Rechtsschutz geregelt. Damit ist entgegen der Auffassung des 20. Senats des erkennenden Gerichts (Beschluss vom 27. September 2010 - am angegeben Ort ≪aaO≫; ebenso Hessisches LSG, Beschluss vom 04. Oktober 2010 - L 7 AS 436/10 B - juris.de) gerade kein Wille des Gesetzgebers erkennbar, auch für eine PKH- Beschwerde in einem sozialgerichtlichen Hauptsacheverfahren einen Ausschluss zu normieren. Zwar stimmt der Senat dem Hessischen LSG (aaO) ausdrücklich dahingehend zu, dass gerade aus Sicht der Rechtsanwender eine eindeutige gesetzliche Regelung sinnvoll gewesen wäre, was aber sowohl nach dem Wortlaut als auch nach der Gesetz...