Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Hilfe zur Pflege. Pflegegeld

 

Orientierungssatz

1. Voraussetzung zur Zahlung eines Pflegegeldes nach § 64 Abs 5 S 1 SGB 12 ist, dass der Pflegebedürftige die erforderliche Pflege in geeigneter Weise selbst sicherstellen kann. Dabei kommt es nicht darauf an, dass der Pflegebedürftige den gesamten pflegerischen Bedarf mit dem Pflegegeld abdecken muss. Das Pflegegeld ist nicht zur Entlohnung von Pflegepersonen oder Pflegekräften, sondern in erster Linie zur Förderung bzw Erhaltung der Pflegebereitschaft bestimmt (vgl BVerwG vom 4.6. 1992 - 5 C 82/88 = BVerwGE 90, 217).

2. Durch das Pflegegeld soll der mit der Pflegebedürftigkeit zusammenhängende Aufwand für Kosten für Geschenke, mit denen sich der Pflegebedürftige gegenüber pflegenden Besuchern erkenntlich zeigen will, für vermehrte Telefonate in Folge fehlender Mobilität usw abgedeckt werden können. Dabei müssen keine messbaren wirtschaftlichen Belastungen vorliegen, auf die (in gleicher Weise) mit dem Pflegegeld zu reagieren wäre; es kommt auch nicht darauf an, ob tatsächlich Pflege durch Verwandte oder Nachbarn in Anspruch genommen wird (vgl VGH Kassel vom 3.2.2004 - 10 UZ 2985/02 = FEVS 55, 547).

3. Auch bei Pflege durch beschäftigte Pflegefachkräfte und bei "Rund-um-die-Uhr-Versorgung", ist ein Bedarf nach § 64 Abs 5 SGB 12 nicht ausgeschlossen.

4. § 64 Abs 5 SGB 12 dient dazu, eine Zweckverfehlung der Pflegegeldgewährung etwa in Folge bestimmungswidriger Verwendung des Pflegegeldes oder bei Mängeln der selbst organisierten Pflege zu verhindern; die Zwecksetzung des Pflegegeldes (Motivationshilfe und Aufwendungsersatzleistung) bleibt davon unberührt (vgl BVerwG vom 3.7.2003 - 5 C 7/02 = BVerwGE 118, 297).

5. Die Wertung der vertraglich geschuldeten Ansprüche auf Pflege mag bei der Bedarfsseite (Höhe des Pflegegeldes) zu berücksichtigen sein, rechtfertigt aber nicht die Annahme, dass ein Pflegegeld nicht pflegebezogen eingesetzt werden kann.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 18. Mai 2005 abgeändert.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller ab Mai 2005 Pflegegeld in Höhe von 136, 50 Euro monatlich bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu zahlen.

Dem Antragsteller wird für das sozialgerichtliche Verfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Rechtsanwaltes Herrn J S, B, B, bewilligt.

Der Antragsgegner wird verpflichtet, die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für das sozialgerichtliche und das Beschwerdeverfahren zu erstatten.

 

Tatbestand

Im Beschwerdeverfahren ist noch die Verpflichtung des Antragsgegners zur Zahlung eines Pflegegeldes an den Antragsteller streitig sowie die Gewährung von Prozesskostenhilfe für das sozialgerichtliche Verfahren.

Der 1949 geborene Antragsteller ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Er lebt mit seiner Ehefrau, ebenfalls eine Rollstuhlfahrerin, in einer Wohnung. Der Antragsteller erhielt neben laufender Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz - BSHG - Hilfe nach Leistungskomplexen (Assistenz) und Pflegegeld nach § 69a BSHG und Pflegegeld nach dem Landespflegegeldgesetz Berlin. Er erhielt bis einschließlich März 2003 Leistungen der Pflegekasse nach der Pflegestufe II. Die Pflege nach Leistungskomplexen und auch die Leistungen nach Pflegestufe II wurden von einem ambulanten Pflegedienst geleistet.

Der Antragsteller verfügt über ein Einkommen aus Waisenrente (245,72 Euro - Stand Januar 2005) und Pflegegeld aus Österreich in Höhe von 255,50 Euro (Stand Januar 2005).

Ab 1. April 2003 wurden dem Antragsteller von der Pflegekasse Leistungen der Pflegeversicherung nach Pflegestufe III bewilligt. Von der Pflegekasse wurden daraufhin Pflegeeinsätze durch Pflegekraftsätze bis zu 1.432,00 Euro monatlich übernommen, eine Abrechnung erfolgte direkt mit den Pflegefachkräften.

Der Zuerkennung von Leistungen nach der Pflegestufe III lag ein Gutachten des M D d K B-B vom 22. April 2003 zugrunde. Darin wurde u. a. festgestellt, dass ein Zeitaufwand für Grundpflege von 283 Minuten pro Tag sowie ein Zeitaufwand für Hauswirtschaft im Wochendurchschnitt von 60 Minuten pro Tag anfalle. Bei dem Antragsteller bestünden kaum noch Ressourcen, für alle körperbezogenen Verrichtungen sei er auf Fremdhilfe angewiesen. Es bestehe auch nächtlicher Hilfebedarf. Bis dahin war eine pflegerische Versorgung durch den Antragsgegner (Assistenz) durch einen ambulanten Pflegedienst in einem Umfang von vormittags sechs Stunden und abends fünf Stunden für den Antragsteller und seine Ehefrau zusammen sichergestellt.

Am 14. März 2003 beantragte der Antragsteller gemeinsam mit seiner Ehefrau beim Antragsgegner die Erhöhung der Assistenzzeiten auf zusammen 18 Stunden täglich.

Beigefügt war ein Assistenzplan der a d e. V. Nach einem Hausbesuch wurde seitens des Antragsgegners festgestellt, dass für den Antragsteller für die Betreuung von Mahlzeiten, Toilettengängen, Assistenz am Computer, Dekubitusprophylaxe und reg...

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