Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende: Leistungsgewährung an EU-Ausländer. Europarechtswidrigkeit des Leistungsausschlusses. Vorlagepflicht zum EuGH

 

Orientierungssatz

Ein Ausländer, dessen Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zwecke der Arbeitssuche ableiten lässt, ist von den Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen. Das gilt auch für Angehörige von Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, da ernsthafte Zweifel an der Europarechtswidrigkeit des in § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 geregelten Leistungsausschlusses nicht bestehen (Fortführung: LSG Berlin-Potsdam, Beschluss vom 5. März 2012, L 29 AS 414/12 B ER). Insoweit begründet auch allein eine Vorlageentscheidung des BSG an den EuGH in dieser Rechtsfrage für sich genommen noch nicht die Annahme der Europarechtswidrigkeit des Leistungsausschlusses und damit einen zumindest vorläufigen Anspruch auf Leistungsgewährung.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 20. Januar 2014 aufgehoben.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren vor dem Landessozialgericht Berlin - Brandenburg Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt R S, B Str., B, beigeordnet.

Außergerichtliche Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Die 1972 geborene Antragstellerin ist italienische Staatsbürgerin und reiste nach ihren eigenen Angaben im gerichtlichen Verfahren am “23.10.2013 in die BRD„ ein (gemeint war wohl: 23.10.2012). Nach den weiteren Angaben war sie vom 1. März 2013 bis 30. April 2013 als Aushilfe in dem Eiscafe F D G und vom 13. Mai 2013 bis zum 30. Juni 2013 als Tresenkraft in der T B beschäftigt. Am 4. Juli 2013 meldete sie sich bei dem Antragsgegner und beantragte Leistungen nach dem SGB II, welche ihr mit Bescheid vom 7. August 2013 und Änderungsbescheid vom 23. September 2013 für den Zeitraum vom 1. Juli 2013 bis zum 31. Dezember 2013 bewilligt worden.

Einen Weiterbewilligungsantrag vom 26. November 2013 lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 16. Dezember 2013 unter Hinweis auf den Leistungsausschluss des § 7 Absatz 1 S. 2 SGB II ab.

Die Antragstellerin hat daraufhin am 10. Januar 2014 bei dem Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Sie habe einen Sprachkurs absolviert, bemühe sich derzeit um eine Beschäftigung und hätte die Möglichkeit an einer Umschulung zur Steuerfachangestellten “mit Vermittlungsgarantie„ teilzunehmen. Ein Leistungsausschluss gemäß § 7 Absatz 1 S. 2 SGB II sei nicht gegeben, da dieser aufgrund einer Europarechtswidrigkeit keine Anwendung finde.

Mit Beschluss vom 20. Januar 2014 hat das Sozialgericht Berlin den Antragsgegner zur Gewährung von Leistungen für den Zeitraum vom 10. Januar 2014 bis zum bis zum 30. Juni 2014 in monatlicher Höhe von 715,31 Euro verpflichtet und zur Begründung ausgeführt, zwar habe die Antragstellerin ein Aufenthaltsrecht allein zum Zweck der Arbeitssuche, die Regelung des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB II sei aber nicht mit unmittelbar anwendbarem und Anwendungsvorrang genießenden Europarecht, nämlich mit Art. 4 VO (EG) 883/2004, vereinbar und daher nicht anwendbar. Gegen diesen Beschluss hat der Antragsgegner am 27. Januar 2014 Beschwerde bei dem Landessozialgericht Berlin-Brandenburg eingelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Antragsgegners (Band I- ) Bezug genommen.

II.

Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig und begründet.

Nach § 86b Abs. 2 S. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 S. 2 SGG). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragstellerin das Bestehen eines zu sichernden Rechts (den so genannten Anordnungsanspruch) und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung (den so genannten Anordnungsgrund) glaubhaft macht (§ 86 b Abs. 2 S. 4 SGG, § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung - ZPO). Auch im Beschwerdeverfahren sind grundsätzlich die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung maßgeblich (OVG Hamburg, NVwZ 1990, 975).

Für den Zeitraum bis zur Entscheidung des erkennenden Senates ist ein Anordnungsgrund nicht glaubhaft ge...

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