Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für erwerbsfähige Unionsbürger bei Aufenthalt zur Arbeitssuche. bulgarische Staatsangehörige. keine Europarechtswidrigkeit von § 7 Abs 1 Satz 2 Nr 2 SGB 2. keine Folgenabwägung im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bei bloßen Zweifeln an der Rechtslage. Ausschluss von Staatsbürgern Rumäniens und Bulgariens von Leistungen des SGB
Orientierungssatz
1. Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sind nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 vom Bezug von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen.
2. Weil Bulgarien den Vertrag des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) bisher nicht ratifiziert hat, werden bulgarische Staatsangehörige vom Schutzbereich des EFA nicht erfasst.
3. Soweit Leistungen zum Lebensunterhalt begehrt werden, ist der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 von Art. 24 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG gedeckt.
4. Eine Europarechtswidrigkeit des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 ergibt sich auch nicht aus einem Verstoß gegen die EGVO Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. 4. 2004 zur Koordinierung der Systeme der Sozialen Sicherheit.
5. Die Leistungen nach dem SGB 2 sind als besondere beitragsunabhängige Leistungen i. S. des Art. 70 VO 883/2004 qualifiziert, als sie Leistungen der sozialen Fürsorge darstellen und eine Leistung der Sozialen Sicherheit ersetzen oder ergänzen. § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 regelt allein einen Ausschluss von reinen Fürsorgeleistungen i. S. des Art. 3 VO 883/2004.
6. Bei Staatsangehörigen Rumäniens und Bulgariens führt auch eine europarechtsfreundliche Auslegung des "effet utile" nicht zu Zweifeln an der Europarechtskonformität des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2. Weil Staatsangehörige dieser Länder bis Ende 2013 von der uneingeschränkten Freizügigkeit ausgeschlossen sind, besteht ein objektiver Grund, sie von Leistungen des SGB 2 auszuschließen.
Tenor
Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 29. März 2012 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragsteller begehren vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - SGB II -.
Die Antragsteller zu 1. und 2. sind die Eltern der in den Jahren 2004 und 2008 geborenen Antragsteller zu 2. und 3. Alle sind bulgarische Staatsangehörige, die seit 2008 in Deutschland leben und seit März 2011 - erneut - im Besitz von Bescheinigungen gemäß § 5 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern - FreizügG/EU - sind. Die Antragsteller zu 1. und 2. sind ferner seit Januar 2010 - erneut - im Besitz von Arbeitsgenehmigungen/EU.
Die Antragsteller bewohnen eine Wohnung, für die sie monatlich eine Miete von 579,95 Euro zu entrichten haben. Für die Antragsteller zu 2. und 3. erhalten sie Kindergeld in Höhe von monatlich 368,- Euro.
Nachdem eine auf Leistungsgewährung für den Zeitraum von Januar bis Oktober 2010 gerichtete Klage durch Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 7. Dezember 2010 zum Aktenzeichen S 94 AS14092/10 rechtskräftig abgewiesen worden war, wurden den Antragstellern erneut Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts bewilligt, zuletzt bis zum 31. Juli 2011. Ihr weiterer Zahlungsantrag ab August 2011 wurde mit Bescheid vom 4. August 2011/Widerspruchsbescheid vom 28. September 2011 abgelehnt, hiergegen ist ein Klageverfahren beim SG Berlin zum Aktenzeichen S 130 AS 28380/11 anhängig. Ein Beschluss des SG Berlin im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zum Aktenzeichen S 130 AS 22380/11 ER vom 14. September 2011, mit welchem der Antragsgegner im Wege der Folgenabwägung verpflichtet worden war, den Antragstellern vorläufig ab dem 23. August 2011 bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache, längstens jedoch bis zum 31. Januar 2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts i.H.v. 1.323,95 € monatlich zu bewilligen und auszuzahlen, wurde nicht umgesetzt.
Am 3. Februar 2012 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Berlin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, mit dem sie erneut die vorläufige Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts - zuletzt i.H.v. 623,95 € monatlich - begehrt haben. Im Rahmen dieses Verfahrens hat der Antragsteller zu 1.) vorgetragen, er erziele seit August 2011 ein Einkommen in Höhe von durchschnittlich 700 € monatlich durch das Sammeln von Pfandflaschen und Schrott sowie Verkäufen auf Flohmärkten. Seit dem 1. März 2012 arbeite er 30 Stunden in der Woche in einem Telecafé, die erste Lohnzahlung erwarte er am 1. April 2012. Unterlagen hierzu hat er nicht eingereicht.
Das Sozialgericht Berlin hat den Antrag mit Beschluss vom 29. März 2012 abgelehnt. Er sei unbegründet, da die Antragsteller nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen seien.
Hiergegen haben die Antragsteller am 10. April 2012 Beschwe...