Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Nachrang der Sozialhilfe. Verschenkung des geerbten Vermögens an Kind. Rückforderungsanspruch. Umfang. Versagungsmöglichkeit. Leistungseinschränkung nach § 26 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 12. Anforderung
Orientierungssatz
1. Zu den Leistungsverpflichtungen Dritter im Rahmen der Möglichkeiten der Selbsthilfe gem § 2 Abs 1 SGB 12 gehört grundsätzlich auch der Rückforderungsanspruch des Schenkers gegen den Beschenkten wegen Verarmung gem § 528 Abs 1 BGB.
2. Im Rahmen des Nachrangs der Sozialhilfe gem § 2 Abs 1 SGB 12 muss sich der Hilfeempfänger auch auf künftige Möglichkeiten zur Bedarfsdeckung verweisen lassen, soweit sie in angemessener Frist zu verwirklichen sind (vgl BVerwG vom 12.10.1993 - 5 C 38/92 = NDV 1994, 152). Ist eine solche rechtzeitige Realisierung etwaiger Ansprüche gegen Dritte nicht möglich, so kommt die Überleitung dieses Anspruchs auf den Sozialhilfeträger nach § 93 SGB 12 in Betracht.
3. Ist der eingetretene Notbedarf im Rahmen des § 528 Abs 1 BGB (hier: der monatlich durch eigene Einkünfte nicht gedeckte Bedarf an Hilfe zum Lebensunterhalt) geringer als der Wert des Geschenks, so kann nur ein zur Bedarfsdeckung jeweils erforderlicher Teil herausverlangt werden (vgl BVerwG vom 25.6.1992 - 5 C 37/88 = BVerwGE 90, 245 = NJW 1992, 3312).
4. Unterlässt der Hilfeempfänger die Möglichkeiten der Selbsthilfe (hier: Maßnahmen zur Durchsetzung des Rückforderungsanspruchs nach § 528 Abs 1 BGB), so kann der Sozialhilfeträger ggf mit einer Versagungsentscheidung nach § 66 SGB 1 reagieren.
5. Zur Absicht der Vermögensverminderung bei der Einschränkung der Leistung auf das zum Lebensunterhalt Unerlässliche nach § 26 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB 12 bei Schenkung eines geerbten Vermögens des Hilfeempfängers an sein volljähriges Kind.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 09. Juli 2007 wird aufgehoben.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, der Antragstellerin vorläufig bis zu einer Entscheidung über deren Widerspruch vom 11. Juni 2007 gegen den Bescheid vom 05. Juni 2007, längstens bis zum 31. Dezember 2007, Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII - zu gewähren .
Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin des gesamten Verfahrens.
Gründe
I.
Die Antragstellerin begehrt vom Antragsgegner die Gewährung von Leistungen nach dem Dritten Kapitel Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - SGB XII.
Die 1947 geborene Antragstellerin stand seit Jahren beim Antragsgegner im Bezug von Leistungen der Sozialhilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Aufgrund eines Vergleiches vor dem Landgericht Berlin (Geschäftszeichen 22 O 204/03) vom 26. August 2003 erhielt sie aus dem Aktivnachlass ihres verstorbenen Vaters AM 8.556,42 Euro. Aus einer Erbschaft nach ihrem am 20. Dezember 2002 verstorbenen Bruder FM wurden dem Konto ihres Bevollmächtigten am 14. April 2004 aus Kontoauflösungen 5.141,33 Euro und 57.103,80 Euro gutgeschrieben. Nach einem Erbauseinandersetzungsvertrag vom 28. September 2004, verbunden mit der Auflassung eines Miteigentumsanteils des F M an einem Grundstück, entfiel auf die Klägerin ein Anteil in Höhe von 37.706,66 Euro. Von diesem Anteil waren 6.855,00 Euro Erbschaftssteuer an das Finanzamt Schöneberg abzuführen, so dass ein Erbschaftsanteil zugunsten der Antragstellerin von 30.851,66 Euro verblieb, der laut Erbauseinandersetzungsvertrag auf das Konto ihres Bevollmächtigten zu zahlen war. Mit Schenkungsvertrag vom 13. Februar 2004 hatte die Antragstellerin ihr Erbe nach dem verstorbenen Bruder an ihre Tochter Y verschenkt.
Mit Bescheid vom 11. Januar 2005 hatte der Antragsgegner die Weitergewährung von Leistungen der Sozialhilfe ab Oktober 2004 versagt, da die Klägerin über Vermögen aus je einer Erbschaft nach ihrem verstorbenen Vater und Bruder von insgesamt 108.501,21 Euro verfüge. Bezüglich des Zeitraums vom 01. Oktober 2004 bis zum 31. Dezember 2004 ist ein Klageverfahren beim Sozialgericht Berlin zum Aktenzeichen S 88 SO 131/07 anhängig. Nach der Ablehnung ihres Antrags auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII mit Bescheid des Antragsgegners vom 04. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2005 bezog die Antragstellerin Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II - vom JobCenter Berlin-Mitte. Nachdem das JobCenter mit Bescheid vom 05. Februar 2007 die Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II im Hinblick auf die Feststellung einer auf Dauer vorliegenden vollen Erwerbsminderung der Antragstellerin mit Wirkung zum 01. März 2007 aufgehoben hatte, beantragte die Antragstellerin erneut am 13. Februar 2007 beim Antragsgegner die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB XII. Der Antragsgegner gewährte der Antragstellerin mit Bescheid vom 15. Februar 2007 Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ab dem 01. März 2007 bis zum 31. Januar 2008. Mit Bescheid vom 25. April 2007 stellte der Antragsgegner die gewährte Leistung ab dem ...