Entscheidungsstichwort (Thema)
Begrenzung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld bis zum Beginn des Anspruchs auf die Regelaltersrente - Berücksichtigung des maßgeblichen Geburtsdatums
Orientierungssatz
1. Wer das für die Regelaltersrente i. S. des SGB 6 erforderliche Lebensjahr vollendet hat, hat gemäß § 136 Abs. 2 SGB 3 vom Beginn des folgenden Monats an keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld. Das ergibt sich regelmäßig aus der von der DRV vergebenen Versicherungsnummer.
2. Grundsätzlich darf vom Geburtsdatum der ersten Angabe i. S. des § 33a Abs. 1 SGB 1 nicht abgewichen werden, es sei denn eine ältere als die erstangegebene Urkunde belegt die Richtigkeit eines abweichenden Geburtsdatums.
Tenor
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 6. November 2023 aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit ab 24. Oktober 2023 Arbeitslosengeld in gesetzlicher Höhe und Dauer zu gewähren.
Die Antragsgegnerin trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin im gesamten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Ihr steht ein durch eine gerichtliche Regelungsanordnung iSv § 86b Abs. 2 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zu sichernder Anspruch auf Arbeitslosengeld (Alg) für die Zeit ab Antragseingang bei dem Sozialgericht (24. Oktober 2023) zu.
Anspruch auf Alg bei Arbeitslosigkeit hat, wer arbeitslos ist, sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet und die Anwartschaftszeit erfüllt hat (§ 137 Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Arbeitsförderung - SGB III). Wer das für die Regelaltersrente (RAR) im Sinne des Sechsten Buches erforderliche Lebensjahr vollendet hat, hat vom Beginn des folgenden Monats an keinen Anspruch auf Alg (§ 136 Abs. 2 SGB III). Wie auch zwischen den Beteiligten unstreitig ist, ist die Antragstellerin arbeitslos iSv § 138 SGB III, hat sich bei der Agentur für Arbeit mit Wirkung zum 25. September 2023 persönlich arbeitslos gemeldet und erfüllt hierauf bezogen auch die Anwartschaftszeit (§ 142 SGB III).
Dem Anspruch steht nicht das vollendete RAR-Lebensjahr entgegen. Vielmehr erreicht die Antragstellerin die Regelaltersgrenze erst am 14. April 2029 (vgl auch den entsprechenden Ablehnungsbescheid der Deutschen Rentenversicherung ≪DRV≫ Berlin-Brandenburg vom 4. August 2023). Dies ergibt sich aus der von der DRV vergebenen Versicherungsnummer (VNr) 25 150862 A 514.
Nach § 33a Abs. 1 Sozialgesetzbuch - Allgemeiner Teil - (SGB I) ist, soweit Rechte oder Pflichten davon abhängig sind, dass eine bestimmte Altersgrenze erreicht oder nicht überschritten ist, das Geburtsdatum maßgebend, das sich aus der ersten Angabe des Berechtigten oder Verpflichteten oder seiner Angehörigen gegenüber einem Sozialleistungsträger oder, soweit es sich um eine Angabe im Rahmen des Dritten oder Sechsten Abschnitts des Vierten Buches Sozialgesetzbuch handelt, gegenüber dem Arbeitgeber ergibt. Von einem nach Abs. 1 maßgebenden Geburtsdatum darf gemäß Abs. 2 nur abgewichen werden, wenn der zuständige Leistungsträger feststellt, dass (1.) ein Schreibfehler vorliegt oder (2.) sich aus einer Urkunde, deren Original vor dem Zeitpunkt der Angabe nach Abs. 1 ausgestellt worden ist, ein anderes Geburtsdatum ergibt. Die Abs. 1 und 2 gelten gemäß Abs. 3 auch für Geburtsdaten, die Bestandteil der VNr oder eines anderen in den Sozialleistungsbereichen des Sozialgesetzbuches (SGB) verwendeten Kennzeichens sind, entsprechend. Grundsätzliche Bedenken verfassungsrechtlicher oder europarechtlicher Art gegen diese Vorschrift bestehen nicht (vgl schon Bundessozialgericht ≪BSG≫ SozR 3-1200 § 33a Nr 1, 2 mwN; BSG, Urteil vom 5. April 2001 - B 13 RJ 35/00 R = SozR 3-200 § 33a Nr 4 - Rn 21).
Das Geburtsdatum entsprach der Angabe der Antragstellerin bei Eintritt in die gesetzliche Rentenversicherung im Jahr 1992. Es sind keine Gründe dafür ersichtlich, dass es sich bei der ersten Angabe um einen Schreibfehler iSv § 33a Abs. 2 Nr. 1 SGB I handelte. Es liegt auch iSv § 33a Abs. 2 Nr. 2 SGB I keine Urkunde vor, deren Original vor dem Zeitpunkt der ersten Geburtsdatumsangabe der Antragstellerin gegenüber der DRV im Jahr 1992 datiert und die das Geburtsdatum anstelle des bisher in der VNr enthaltenen Geburtsdatums ergibt. Der vorgelegte Pass der Republik Ghana und der Aufenthaltstitel wurden deutlich später ausgestellt.
Damit darf vom Geburtsdatum der ersten Angabe iSd § 33a Abs. 1 SGB I nicht abgewichen werden (vgl zum Ganzen BSG aaO). Geburtsdatenänderungen, die nach der Erstangabe iSd § 33a Abs. 1 SGB I vorgenommen werden, bleiben im Geltungsbereich des SGB - also auch des SGB III - bei der Frage einer Neuvergabe der VNr ebenso wie im Leistungsfall von vornherein unberücksichtigt. Der Gesetzgeber hat mit § 33a SGB I die unbedingte Anknüpfung an das "wahre" Geburtsdatum aufgegeben (BSG aaO Rn 32 mwN). Um die besonders verwaltungsintensive Prüfung, die vor Inkrafttreten des § 33a SGB I häufig...