Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende: Leistungsausschluss für Ausländer. Grundsicherungsleistungen als Sozialhilfeleistungen. Notwendigkeit einer Folgenabwägung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren über Grundsicherungsleistungen an EU-Ausländer
Orientierungssatz
1. Der in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB 2 für Ausländer geregelte Ausschluss von Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitssuchende verletzt nicht europarechtliche Vorgaben und ist deshalb auch bei EU-Ausländer im einstweiligen Rechtsschutzverfahren über Grundsicherungsleistungen anzuwenden. Für eine Folgenabwägung ist insoweit kein Raum.
2. Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem SGB 2 sind als Sozialhilfeleistungen im Sinne des Art. 24 Abs. 2 der Unionsbürgerrichtlinie anzusehen, so dass sie nicht unter die Leistungen zum Schutz der Arbeitnehmerfreizügigkeit fallen, die allen EU-Bürgern in jedem EU-Mitgliedsstaat gleichberechtigt zur Verfügung stehen müssen.
Tenor
Die Beschwerden gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 24. September 2014 werden zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten der Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
Die zulässigen Beschwerden sind unbegründet. Das Sozialgericht hat es zu Recht abgelehnt, den Antragsgegner im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung zur Leistungsgewährung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - SGB II - zu verpflichten. Auch ist die Ablehnung der Gewährung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren nicht zu beanstanden.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86 b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ist unbegründet, da die Antragsteller einen Anordnungsanspruch nicht mit der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht haben (§§ 86b Abs. 2 SGG, 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung - ZPO -).
Ein Anordnungsanspruch aus den §§ 7 Abs. 1 Satz 1, 19 Abs. 1 Satz 1 SGB II in der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches des Sozialgesetzbuches vom 24. März 2011 (BGBl. I S. 453) scheitert bereits daran, dass die Antragsteller als rumänische Staatsbürger dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II unterliegen.
Danach sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und deren Familienangehörige vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgenommen. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.
Ein Aufenthaltsrecht ergibt sich vorliegend nicht aus § 2 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften vom 2. Dezember 2014 (BGBl. I, S. 1922). Gemäß § 2 Abs. 1 FreizügG/EU haben freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger und ihre Familienangehörigen das Recht auf Einreise und Aufenthalt nach Maßgabe dieses Gesetzes. Gemeinschaftsrechtlich freizügigkeitsberechtigt sind nach § 2 Abs. 2 FreizügG/EU u. a. Unionsbürger, die sich als Arbeitnehmer, oder zur Berufsausbildung aufhalten wollen (Nr. 1) oder Unionsbürger, die sich zur Arbeitssuche aufhalten, für bis zu sechs Monate und darüber hinaus nur, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden (Nr. 1a) oder wenn sie zur Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit berechtigt sind (niedergelassene selbständige Erwerbstätige) (Nr. 2). Die Voraussetzungen der Nummern 1 und 2 liegen nicht vor, da die Antragsteller weder selbständig tätig sind noch eine abhängige Beschäftigung ausüben. Daher verbleibt allein ein Recht zum Aufenthalt zur Arbeitssuche. Dies führt dazu, dass der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II Anwendung findet.
§ 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ist als geltendes Recht auch anzuwenden (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz - GG). Der Senat ist von der Europarechtswidrigkeit des § 7 Abs. 1. Satz 2 Nr. 2 SGB II nicht überzeugt. Nur eine solche Überzeugung könnte ihn ausnahmsweise berechtigen, dieses formelle Gesetz nicht anzuwenden. Anders als in Verfahren nach § 86b Abs. 1 SGG, bei denen ggf. eine Entscheidung aufgrund einer Interessenabwägung zu treffen ist (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 13. März 1996 - 7 NC 147.95, NVwZ 1996, 1239; OVG Lüneburg, Beschlüsse vom 10. März 2010 - 12 ME 176/08, NuR 2010, 290, und vom 5. Januar 2011 - 1 MN 178/10, BauR 2010, 990), sind die Gerichte im Rahmen des § 86b Abs. 2 SGG grundsätzlich nicht berechtigt, formelle Gesetze als unwirksam zu behandeln. Dies gilt insbesondere, wenn das Gericht lediglich Zweifel an der Vereinbarkeit der Norm mit höherrangigem Recht hat (a. A. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 11. August 2011 - L 15 AS 188/11 B ER; LSG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 30. November 2010 - L 34 AS 1501/10 B ER -, vom 17. Mai 2011 - L 28 AS 566/11 B ER -, vom 20. Juni 20...