Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. spanischer Staatsangehöriger. Europäisches Fürsorgeabkommen. Wirksamkeit des von der Bundesregierung erklärten Vorbehalts. Zweifel an der Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses. Folgenabwägung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Frage, ob Unionsbürger trotz der Vorschrift des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB 2 haben, kann im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur im Rahmen einer Folgenabwägung entschieden werden.
2. Ob der von der Bundesregierung eingelegte Vorbehalt gegen das Europäische Fürsorgeabkommen (EFA - juris: EuFürsAbk) im Hinblick auf SGB 2-Leistungen wirksam ist, hängt nicht (nur) von der Zulässigkeit des Vorbehalts ab. Entscheidend ist, ob der betroffene Signatarstaat - hier Spanien - Einspruch gegen den Vorbehalt eingelegt oder diesen - auch stillschweigend - akzeptiert.
3. Die Frage, ob der Leistungsausschluss gegen EU-Recht verstößt, kann angesichts einer mittlerweile gefestigten aber widersprüchlichen Judikatur der Landessozialgerichte im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht entschieden werden.
Tenor
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 01. Februar 2013 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner und Beschwerdeführer hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Dem Antragsteller wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L A, K, B, gewährt.
Gründe
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Berlin vom 01. Februar 2013, mit dem dieses den Antragsgegner verpflichtet hat, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für die Zeit vom 14. Januar 2013 bis zu der Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis zum 30. Juni 2013, zu gewähren, ist zulässig, aber unbegründet. Jedenfalls im Ergebnis erweist sich der Beschluss des Sozialgerichts Berlin als rechtmäßig, so dass die Beschwerde zurückzuweisen war.
Der 1987 geborene Antragsteller ist s Staatsangehöriger und verfügt über ein Diplom im Studienfach Elektrotechnik (Bachelor) der Universität V. Vom 01. September 2010 bis 28. Februar 2011 absolvierte er in Deutschland ein Praktikum bei der R GmbH. Unter dem 23. November 2012 stellte das Bezirksamt Neukölln von Berlin dem Antragsteller eine Bescheinigung gemäß § 5 Freizügigkeitsgesetz/EU aus, in der als Zeitpunkt der Anmeldung der 26. August 2012 angegeben ist.
Am 07. Dezember 2012 beantragte er beim Antragsgegner Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Er gab an, bedürftig zu sein, was er durch die Vorlage von Kontoauszügen belegte. Zu seinen Wohnverhältnissen gab er an, mit einem Landsmann und einer weiteren Untermieterin in einer 5-Zimmer-Wohnung in B zu wohnen, in der er einen 30 m² großen Wohnflächenanteil zur Verfügung habe. Der Mietzins betrage 800,00 Euro warm. Er habe davon die Hälfte abzüglich des von der Untermieterin zu zahlenden Mietzinses von 230,00 Euro, mithin 285,00 Euro, an Miete zu zahlen.
Mit Bescheid vom 07/09. Januar 2013 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Sie führte aus, das Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland ergebe sich allein aus dem Zwecke der Arbeitssuche. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II seien Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergäbe, und ihre Familienangehörigen von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Dieser Leistungsausschluss habe bisher nicht für Staatsangehörige der Vertragsstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens gegolten. Die Bundesrepublik Deutschland habe nunmehr für Leistungen nach dem SGB II einen Vorbehalt gegen das Europäische Fürsorgeabkommen erklärt. Dieser sei zum 19. Dezember 2011 in Kraft getreten. Damit finde der Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II auch für Staatsangehörige der Vertragsstaaten des Europäischen Fürsorgeabkommens Anwendung. Demzufolge gehöre auch der Antragsteller nicht mehr zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach dem SGB II.
Am 14. Januar 2013 beantragte der Antragsteller beim Sozialgericht Berlin den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Mit Beschluss vom 01. Februar 2013 hat das Sozialgericht dem Antrag im Wesentlichen stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Antragsteller sei als s Staatsangehöriger nicht vom Leistungsbezug nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II ausgeschlossen. S sei Vertragsstaat des Europäischen Fürsorgeabkommens vom 11. Dezember 1953 (EFA). Das Abkommen gehe dem Leistungsausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vor (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010, B 14 AS 23/10 R). An dieser Rechtslage habe sich auch dadurch nichts geändert, dass die Bundesregierung im Hinblick auf SGB II-Leistungen mit Wirkung vom 19. Dezember 2011 ein...