Entscheidungsstichwort (Thema)
Maßgeblicher Beruf bei der Bewilligung von Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit
Orientierungssatz
1. Ein noch sechsstündiges Restleistungsvermögen des Versicherten begründet bei einer Summierung wenigstens zweier ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen die Benennungspflicht einer konkreten Verweisungstätigkeit durch den Rentenversicherungsträger (Anschluss: BSG, Urteil vom 9. Mai 2012, B 5 R 68/11 R); nicht aber bereits das Zusammentreffen einer ungewöhnlichen mit einer oder mehrerer gewöhnlicher Leistungseinschränkungen.
2. Für die Frage, ob ein Versicherter Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB 6 hat, ist dessen bisheriger Beruf maßgeblich. Falls Normen des zwischenstaatlichen Rechts nichts Anderes anordnen, sind im Ausland ausgeübte Tätigkeiten, die der deutschen Rentenversicherungspflicht nicht unterliegen, für die Bestimmung des bisherigen Berufs und dessen Qualität nicht zu berücksichtigen (Anschluss: BSG, Urteil vom 25. Juni 1980, 1 RA 63/79).
3. Das Deutsch-Jugoslawische Sozialversicherungsabkommen (DJSVA) enthält keine Regelung, nach der die Frage der Berufsunfähigkeit i. S. des deutschen Rechts aufgrund eines im früheren Jugoslawien ausgeübten Berufs zu beurteilen ist. Der Regelungsinhalt von Art. 25 DJSVA beschränkt sich auf die quantitative Zusammenrechnung deutscher und jugoslawischer Versicherungszeiten für den Erwerb eines Leistungsanspruchs.
4. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist für die Feststellung von voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung oder Berufsunfähigkeit unerheblich.
Normenkette
SGB VI § 43 Abs. 1 S. 1 Nrn. 2-3, S. 2, Abs. 2 S. 1 Nrn. 2-3, S. 2, Abs. 3, § 240 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 50 Abs. 1, § 51 Abs. 1; DJSVA Art. 25, 3-4
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. November 2011 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Streitig ist die Gewährung von Versichertenrente wegen voller Erwerbsminderung (EM), hilfsweise wegen teilweiser EM, hilfsweise wegen teilweiser EM bei Berufsunfähigkeit (BU).
Die 1955 geborene, seit 1993 in der Bundesrepublik Deutschland lebende Klägerin hatte im früheren Jugoslawien in der Zeit von 1975 bis 1978 eine Ausbildung zur Verwaltungsangestellten absolviert und war bis 1992 als Sekretärin tätig. In Deutschland war sie nicht versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 1. Januar 2005 bezieht sie Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Pflichtbeitragszeiten legte sie insoweit vom 1. Januar 2005 bis 31. Dezember 2009 zurück.
Die Klägerin beantragte im November 2008 die Gewährung von EM-Rente. Die Beklagte zog den Bericht der R. Klinik vom 16. April 2008 über das stationäre Heilverfahren vom 12. März 2008 bis 2. April 2008 bei, aus dem die Klägerin mit einem mehr als sechsstündigen Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere körperliche Arbeiten entlassen worden war. Sodann ließ die Beklagte die Klägerin durch die Ärztin für Psychiatrie und Sozialmedizin Dr. S und die Fachärztin für Chirurgie und Sozialmedizin Dr. B untersuchen und begutachten. Diese hielten die Klägerin für täglich sechs Stunden und mehr einsetzbar in leichten bis mittelschweren Tätigkeiten unter Beachtung der aufgezeigten qualitativen Leistungseinschränkungen (Dysthmie mit Somatisierungsneigung auf dem Boden einer Persönlichkeitsakzentuierung mit histrionischen Zügen, Verdacht auf Benzodiazepinabusus, mäßige Belastungslumbalgien ohne Radikulärsymptomatik, zervikozephales Syndrom mit Neigung zu Schwindel und Migräne, Hypertonus behandelt, Diabetes mellitus medikamentös behandelt; Gutachten vom 4. September 2009 und 8. Dezember 2009). Mit Bescheid vom 18. Dezember 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. März 2010 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Volle bzw. teilweise EM bzw. teilweise EM bei BU würden nicht vorliegen.
Im Klageverfahren hat das Sozialgericht (SG) Berlin Befundberichte der behandelnden Ärzte erstatten lassen, und zwar von dem Neurologen und Psychiater Dr. H vom 5. Juli 2010, von dem Orthopäden Dr. Z vom 29. Juni 2010 und der Allgemeinmedizinerin S vom 4. September 2010. Ein arbeitsamtsärztliches Gutachten vom 12. Januar 2010 (Dr. S) ist zu den Gerichtsakten genommen worden.
Das SG hat die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. B als Sachverständige eingesetzt. Diese Ärztin hat in ihrem Gutachten vom 14. Februar 2011 (Untersuchung am 5. Januar 2011) folgende Gesundheitsstörungen festgestellt: Dysthymie bei akzentuierten Persönlichkeitszügen, anhaltende somatoforme Schmerzstörung auf der Grundlage geringer degenerativer Veränderungen der Hals- und Lendenwirbelsäule und Iliosakralgelenke, Restbeschwerden nach operiertem Karpaltunnelsyndrom rechts 2009, Migräne mit gegenwärtiger Anfallshäufung, Benzodiazepinabusus, anamnestisch Tinnitus bds, überwiegend vertebragener Schwindel, Erkrankungen auf nicht-nervenärz...